Ringvorlesung "Wissensbilder" II

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Bilder lügen nicht. Tatsachen passen ins Bild, oder auch nicht.

Bilder spielen in der Wissenschaft seit langem eine zentrale Rolle, sowohl in der Kommunikation als auch in der Strukturierung von Wissen. Forschende machen sich ein Bild von ihrem Forschungsgegenstand, sie konstruieren, konturieren und differenzieren diesen in Prozessen, die Wissensbilder schaffen. Solche Wissensbilder begrenzen und ermöglichen: sie ermöglichen Erkenntnis und Theoriebildung, begrenzen diese aber zugleich.

Wissensbilder spielen nicht nur in der Erkenntnisproduktion eine wesentliche Rolle, sondern auch in der Kommunikation von erlangtem Wissen – sie strukturieren unser Verständnis der Welt und wie dieses mit anderen geteilt wird.

Derartige Prozesse und deren Verständnis spielen eine zentrale Rolle in der fachlichen Sozialisation: erst wenn aus Wissensbildern Bilderwissen wird, wird aus Schauen Sehen, werden aus Laien Wissende.

In der 5. Reihe der Flensburger Ringvorlesung werden sich Forschende der Europa-Universität Flensburg mit Wissensbildern und Bilderwissen ihrer jeweiligen Fachdisziplinen beschäftigen und deren Einfluss, Bedeutung und Veränderung darstellen, demonstrieren und dekonstruieren.

Programm

Termin
Vortragende*r Titel
25.9.   Prof. Dr. Ulrike Johannsen, Abteilung Ernährung und Verbraucherbildung

Durch (Vor)bilder Wissen generieren

Die an der Europa-Universität Flensburg (mit)entwickelten Lehr- und Lernmaterialien im Bereich der Ernährungs- und Gesundheitsbildung sollen Sprach- und Alltagswissen kombinieren und partizipative Forschung fördern. Ergänzend zeigen neue lebensweltlich orientierte Lernarrangements auf, wie Laienkompetenz gestärkt wird, institutionelle Synergien genutzt und neue Lernorte entstehen können.

In dem Vortrag wird auf zwei Fragestellungen näher eingegangen:

(I.)            Welche praktischen Peer-to Peer Ansätze können genutzt werden, um Wissen, Motivation und Gesundheitshandeln bei jungen Menschen zu unterstützen? 

(II.)          Wie kann mit Bildern aus dem Ernährungsalltag die Deutsche Sprache innerhalb sprachsensibler und benachteiligter Lerngruppen erworben werden?

Es wird deutlich, dass die Förderung eines alltagsbezogenen Bild-Text-Verständnisses bei sprachsensiblen Lerngruppen einen stark motivierenden Charakter hat, da an der Alltagskultur des Einzelnen angeknüpft wird. Dies liefert einen Beitrag für eine gesundheitsbewusste und chancenorientierte Bildung.

9.10. Dr. Jutta Zaremba, Abteilung Kunst und visuelle Medien

(Un)wissensbilder in der Kunst

Das variantenreiche Spiel mit (Un)wissen bei künstlerischen Inszenierungen entspinnt sich im Vortrag anhand der drei unterschiedlichen Bereiche von Gegenwartsfotografie, interaktiver Installation und Daten-Visualisierungsprojekt. Die präsentierten künstlerischen (Un)wissenbilder weisen vielfältige Bezüge etwa zum kulturellen Bildgedächtnis, zum Werk/Betrachter*in/Künstler*in-Verhältnis und zu virulenten globalen Prozessen auf.

Dabei soll gerne offen und strittig bleiben, ob wir den ambitionierten Worten eines der Künstler zustimmen, dass es sich um "künstlerische Navigationshilfen beim intellektuellen und emotionalen Erfassen unserer Welt" handelt…

23.10. Prof. Dr. Holger Jahnke, Abteilung Geographie

Zwischen Gefühls- und Wissensvermittlung - Alexander von Humboldts Landschaftsbilder

Die Geographie gilt im Kanon der Wissenschaften bis heute als "visuelle Disziplin". Bereits der Erkenntnisgegenstand der frühen wissenschaftlichen Geographie - die Landschaft – wurde mit dem Blick des Betrachters konstruiert und analysiert. Die epistemologischen Schwierigkeiten, die sich mit dieser Gegenstandskonstruktion verbinden, lassen sich anhand der Schriften von Alexander von Humboldt nachzeichnen. Denn schon Humboldt wollte mit seinen Landschaftsdarstellungen – in Wort und Bild - nicht nur seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch seine erlebten Gefühle transportieren. Damit beginnt eine Tradition von hybriden Wissensbildern, die lange Zeit prägend für die geographische Bildung waren. Im Vortrag wird am Beispiel von Alexander von Humboldts Darstellung des Chimborazo die Entstehung und spätere Entwicklung dieser hybriden Landschaftsbilder als Wissens- und Gefühlsmedien nachgezeichnet.

6.11.   Dr. Leiv Eirik Voigtländer, Mitarbeiter des Präsidiums

Bilder gewaltsamen Protests: Versuch, die G20-Demonstrationen in Hamburg mit Georges Sorel zu begreifen

"Wie im Krieg" (Spiegel Online), Solche Bilder wollte man nicht" (Tagesschau). Es sind vermutlich gerade die Bilder schwerer Ausschreitungen, ausgebrannter Autos und zerborstener Schaufensterscheiben, die das landläufige Wissen über den Hamburger G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs vom vergangenen Juli prägen. Der Nachrichtenwert gewaltsamer Proteste und besonders der Bilder schwerer Ausschreitungen - engl.: riots - ist offenbar derart hoch, dass die eigentlich politischen Aspekte des Gipfeltreffens, der Demonstrationen und der polizeilichen Strategie zeitweise völlig in den Hintergrund von Berichterstattung und öffentlichen Debatten geraten sind. Wo kritische Aufmerksamkeit gefordert war, kam allzu oft die schiere Überwältigung zum Ausdruck. Die Bilder gewaltsamen Protests bilden Gewalt nicht nur dokumentarisch ab, sie beinhalten vielmehr eine eigene Gewaltsamkeit.

Die Forschung zu Protesten und politischen Bewegungen kann den Bann solcher Bilder brechen, um begreiflich zu machen, was sich zugetragen hat. In diesem Vortrag ohne Bilder soll dazu eine Art theoretischer Vorarbeit geleistet werden. In Auseinandersetzung mit dem französischen Sozialphilosophen und Syndikalisten Georges Sorel (1847 - 1922), der mit seinen Réflexions sur la violence (1906, dt. 1928: Über die Gewalt) Einfluss auf die politische Linke und Rechte im Zeitalter der Extreme genommen hat, wird vorgeschlagen, die riots als eine Art heutigen Mythos zu lesen - d.h. als überwältigendes Bild mit aktueller öffentlicher Durchschlagskraft, das sich der Kritik entzieht. Das Betrachten der Randale einerseits und deren Durchführung andererseits werden so in ihrem Zusammenhang zum Gegenstand der Untersuchung und der Diskussion. Wenn dieser Versuch gelingt, lassen sich scheinbare Gewissheiten, die durch Bilder gewaltsamen Protests spontan aufgerufen werden, irritieren, herausfordern und gegebenenfalls korrigieren.

Leiv Eirik Voigtländer wurde am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin mit einer empirischen Studie zu bürgerschaftlichem Engagement promoviert und arbeitet heute für das Präsidium der EUF im Bereich Qualität von Studium und Lehre.

20.11.   Prof. Dr. Margot Brink, Seminar für Romanistik

"Wer bin ich?" -  Bilderwissen in den Selbstinszenierungen avantgardistischer Künstlerinnen und Künstler

"Ich bin ich, weil mein kleiner Hund mich kennt…[…] vielleicht bin ich nicht ich auch wenn mein kleiner Hund mich kennt aber jedenfalls habe ich gern was ich habe und jetzt ist heute"  (Gertrude Stein, Jedermanns Autobiographie, 1937) – so lautet eine der nur scheinbar naiven, in Wirklichkeit aber durch und durch ironisch-spielerischen Antworten, die im Kontext der Avantgarde in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf die Frage nach der eigenen Identität formuliert wurden. Dadaistische oder surrealistische Künstlerinnen und Künstler wie Gertrude Stein, Claude Cahun, Hannah Höch oder Marcel Duchamp haben die individuellen und kollektiven Identitätsmuster ihrer Zeit, so z.B. Vorstellungen von einer festen ‚Ordnung‘ der Geschlechter, grundlegend hinterfragt und sie als kulturelle Konstrukte erkennbar gemacht. Die avantgardistischen ‚Werke‘ bzw. Lebenspraktiken sind darüber hinaus, so eine These des Vortrags, von besonderem Interesse und hoher Aktualität für unsere Gegenwart, in der Debatten um individuelle und kollektive Identitäten eine zentrale und nicht selten überaus problematische Rolle im öffentlichen und politischen Diskurs spielen.

4.12. Prof. Dr. Andreas Hüttner, Abteilung für Technik und ihre Didaktik

Bilder von Technik: was wir von Technik zu wissen glauben

Wir leben in einer von Technik geprägten Welt. Situatives technisches Handeln, die Fähigkeit des Menschen, aus dabei gewonnenen Erfahrungen zu lernen, Handlungen und Abläufe zu optimieren, aber auch sie an andere Menschen weiterzugeben, ist Grundlage des menschlichen Überlebens in der Natur und somit der Grundstock menschlicher Kultur, mithin der Menschwerdung selbst. Die Dynamik technischer Entwicklungen, das Hervorbringen und die multivalente Praxisüberführung technischer Neuerungen vollziehen sich heute weltweit in immer kürzeren Zeitintervallen mit Folgen für nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Zugleich verringert sich die Halbwertzeit technischer Lösungen fortlaufend. Unsere Informations- und Wissensgesellschaft nutzt Technik, verwirft veraltete Technik, schafft stetig neue Technik und benötigt hierfür menschliche Kreativität auf Massenbasis. Jede Bedürfnisbefriedigung fördert im weiten Sinne das Entstehen neuer Bedürfnisse. Schneller, größer, einfacher, leistungsfähiger, schöner, billiger, umweltschonender, Material sparend etc. sollen Artefakte sein.

Die Technik ist keine Naturerscheinung, sondern insgesamt Resultat menschlicher Schaffenskraft. Erklärungen ihres Wesens bleiben dennoch oft verschwommen. "Technik ist aus dem Verständnis von Kultur verdrängt und für das Verständnis der Zivilisation falsch eingeordnet. Das Verhältnis von Technik und Bildung ist ein einziges großes Missverständnis. Und das wird auch noch selbst als Bildungsinhalt angeboten." (Janich 2016, S.5)

Der Vortrag beleuchtet Aspekte des Technikbegriffs in seiner gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Wahrnehmung und Interpretation und möchte der Frage nachgehen, warum eine Differenz zwischen der realen Bedeutung der Technik für unsere Gesellschaft und der Wahrnehmung dieser Tatsache durch die Gesellschaft existiert.

18.12. Prof. Dr. Peter Heering, Abteilung für Physik und ihre Didaktik und Geschichte

"Schauen, sehen, wissen": Ludwik Flecks Erkenntnistheorie und die mikroskopische Welt

"Schauen, sehen, wissen" ist der (übersetzte) Titel eines erkenntnistheoretischen Essays, das der Mediziner Ludwik Fleck 1947 veröffentlicht hat. Mit seiner Theorie des Denkstils und Denkkollektivs gilt Fleck als einer der Vorläufer der (konstruktivistischen) Wissenschaftssoziologie. Im Rahmen meines Beitrags zur Reihe Wissensbilder werden zentrale Aspekte der Erkenntnistheorie Flecks vorgestellt. Diese werden mittels ausgewählter Entwicklungen innerhalb der Geschichte der Mikroskopie diskutiert und zur Interpretation dieser Entwicklungen verwendet werden.

Flyer "Wissensbilder" II