Literatur- und Kulturwissenschaftliches Kolloquium Herbst 2023

Das Literatur- und Kulturwissenschaftliche Kolloquium ist eine semesterbegleitende Vortrags- und Diskussionsreihe. Alle Interessierten sind herzlich zur Teilnahme eingeladen. Die Vorträge finden im Online- oder Hybridformat statt. 

In diesem Semester steht die Reihe unter dem folgenden thematischen Schwerpunkt:

Kriminalität und Kriminalistik - Literatur- und Kulturwissenschaftliche Perspektivierungen

Alle Interessierten sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.

Die Vorträge im Überblick:

5.10.2023, 12.15-13.45 Uhr

Dr. Christa Baumberger, Literaturwissenschaftlerin

«Ich bin gewiß nicht unschuldig» – Emmy Hennings und das Gefängnis

Die Auseinandersetzung mit dem Gefängnis, das Verhältnis von Schuld und Strafe, die Frage nach den Auswirkungen von behördlichen Prozeduren – diese und viele weitere Fragen haben Emmy Hennings (1885-1948) fast zwanzig Jahre ihres Lebens umgetrieben: als Person und Autorin. Ihre eigene traumatische Hafterfahrung hat sie in Gedichten, Berichten und Briefen künstlerisch verarbeitet. Vor allem aber hat sie drei Gefängnis-Romane geschrieben (Gefängnis, Das graue Haus, Das Haus im Schatten), von denen der erste bei Erscheinen 1919 großes Aufsehen erregte. Ein Vortrag über das Gefängnis als Ort und Topos der literarischen Avantgarde und über Gefängnisszenen in der Literatur. Mit Ausblicken auf die Dada-Szene in Zürich und weitere Autor:innen wie Friedrich Glauser und Hugo Ball.

Christa Baumberger, Dr. phil., ist Literaturwissenschaftlerin, Kulturpublizistin und Kuratorin. Sie leitet die Stiftung und Galerie Litar für Literatur und Übersetzung in Zürich. Sie war viele Jahre Kuratorin von Emmy Hennings' Nachlass am Literaturarchiv der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern und ist Mitherausgeberin des Prosawerkes von Emmy Hennings im Wallstein Verlag.

Online-Vortrag, Webex-Link: https://uni-flensburg.webex.com/uni-flensburg/j.php?MTID=m40407fddc1e9842f5d3337f1fb4fa345

9.11.2023, 12.15-13.45 Uhr

Dr. Julien Bobineau, D2 – Denkfabrik Diversität & Friedrich-Schiller-Universität Jena

Racial Profiling im Spannungsfeld von politischer Haltung und polizeilicher Praxis – Othering-Prozesse, imaginierte Differenz und kulturelle ‚Normalität‘ bei der Bayerischen Polizei

Spätestens seit der globalen Ausbreitung der Black Lives Matter-Bewegung wird das Zusammenwirken von Rassismus, struktureller Diskriminierung und Polizeigewalt in Medien, Wissenschaft und Gesellschaft breit diskutiert. Dies gilt auch für Racial Profiling, einer rassistischen Polizeipraxis, bei der Menschen meist im Rahmen von verdachtsunabhängigen Kontrollen ausschließlich aufgrund ihrer zugeschriebenen äußerlichen Merkmale wie Hautfarbe, ‚Ethnie‘ oder Religionszugehörigkeit kontrolliert werden. Der Vortrag vermittelt einen Überblick über die aktuell laufende kulturwissenschaftliche Studie, die am Beispiel der Bayerischen Polizei in Unterfranken untersucht, in welcher Form Racial Profiling im Polizeialltag in Erscheinung tritt, welche Kulturstandards von Polizist:innen gesetzt werden, wie sich die Behördenleitung zu dem Thema positioniert und was in der Organisation gegen Racial Profiling unternommen wird. Auf der Basis von qualitativen Interviews mit Polizeibeamt*innen des Polizeipräsidiums Unterfranken und Vertreter*innen migrantischer Verbände verfolgt die Studie das Ziel, sensibilisierende Fortbildungsmodule zu konzipieren, die in einem zweiten Folgeprojekt in der Praxis umgesetzt werden.

Online-Vortrag, Webex-Link: https://uni-flensburg.webex.com/uni-flensburg/j.php?MTID=m3eea2885e0c0a738716402df9db489a1

16.11.2023, 12.15-13.45

Tea Hodaj, Wasatia European Graduate School of Peace and Conflict Resolution, EUF

Dostoevsky’s Universal Political Insights: Socialism, Social Nihilism and Religion

Tea Hodaj is a PhD candidate specialising in the Literary Texts and Nationalism of the Western Balkan countries. Puzzled by the role of literary texts, especially fiction, in the dissemination of political narratives, Hodaj is looking into Dostoevsky’s three novels (The Adolescent; Crime and Punishment; Devils) to find exactly that. As it is no news that Dostoevsky himself had a political agenda behind his writings, we will humbly attempt to dwell on the universality of his political thought and its relevance in today’s world: the rise of the right and left political extremities, the generational disputes and the role of religion.

"You read something which you thought only happened to you, and you discover that it happened 100 years ago to Dostoyevsky. This is a very great liberation for the suffering, struggling person, who always thinks that he is alone. This is why art is important", quote by James Baldwin.

Hybrid-Vortrag, Raum OSL238 und online unter https://uni-flensburg.webex.com/uni-flensburg/j.php?MTID=mabd7ed7a133391d142e3f89ee48584ec

7.12.2023, 12.15-13.45 Uhr

Prof. Dr. Albrecht Buschmann, Universität Rostock

Der Kriminalroman und die Moderne: eine Motivgeschichte

Keine literarische Gattung wird so viel gelesen wie die des Kriminalromans. Warum sind wir so begierig, vom gewaltsamen Tod eines Menschen zu lesen, zumal im Modus entspannender Unterhaltung? Diese Frage führt zunächst zur Geschichte der Gattung. Entstanden aus dem Rationalitätsparadigma der europäischen Aufklärung lässt der Kriminalroman den Leser an der Produktion von Wissen, an einer Erkenntnissuche sowie der Inszenierung überlegener Rationalität teilhaben; allerdings hat der Anti-Kriminalroman des 20. Jahrhunderts (Borges, Dürrenmatt, Robbe-Grillet, Sciascia et al.) dieses Narrativ bereits dekonstruiert.

Weder eine historische Herleitung noch andere analytische Ansätze liefern letztlich überzeugende Erklärungen für die ungebrochene Popularität des Kriminalromans. Darum stellt sich die Präsentation der Frage, ob es nicht ein ungelöstes Problem im Umgang mit dem Phänomen der Gewalt ist (genauer gesagt: mit dem Versprechen der aufgeklärten Moderne, uns die Gewalt vom Leib zu halten), das uns gerade deshalb zum Krimi greifen lässt, weil die Gattung einen für uns versöhnlichen Ausweg verheißt. Eine entscheidende Rolle spielt hierfür offensichtlich der in allen Krimivariationen so wichtige Faktor "Motiv", das die Verbindung herstellt zwischen der Tat und dem Mörder, zwischen Rätsel und Lösung – und zwischen Gewalt und Ratio.

Onlinevortrag, Webex-Link: https://uni-flensburg.webex.com/uni-flensburg/j.php?MTID=m92113f70542a841e001a8d649eb78ace

Abbildung: Emmy Hennings, Porträt Hanns Holdt, 1921, Nachlass Hennings/Ball, Schweizerisches Literaturarchiv, Bern