Bericht der EHSS-Abschlusskonferenz

28. Oktober bis 4. November 2020, Digitale Abschlusskonferenz des transdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsvorhabens EHSS


Vom 28. Oktober bis zum 4. November 2020 fand die digitale Abschlusskonferenz des transdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsvorhabens "Entwicklungschancen und –hemmnisse suffizienzorientierter Stadtentwicklung" (EHSS) [24785] statt. Gemeinsam mit der Stadt Flensburg erforschte das Norbert Elias Center der Europa-Universität Flensburg über drei Jahre hinweg, was ressourcenschonende kommunale Flächenpolitik befördert und was sie behindert. Die Ergebnisse wurden in Vorträgen und Podiumsdiskussionen vorgestellt und diskutiert. Vortragende aus Wissenschaft, kommunale Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft stellten ihre Perspektiven zur Suffizienz zur Diskussion.

In der Auftaktveranstaltung referierte eine der Projektleiter*innen, die Soziologin Michaela Christ, über die Barrieren kommunaler Suffizienzpolitik in wachstumsorientierten Gesellschaften. Sie konstatierte: Kommunale Suffizienzpolitik hat es schwer. Kulturelle Leitbilder, wie das Eigenheim im Grünen oder die institutionalisierte Förderung ressourcenintensiver Lebensweisen in Form von Pendlerpauschalen oder Baukindergeld beschränken kommunale Handlungsspielräume insofern, als viele Kommunen sich verpflichtet fühlen, den Bedürfnissen ihrer Einwohner*innen im Wortsinn Raum zu geben.

Henning Brüggemann, ebenfalls Projektleiter und Bürgermeister und Kämmerer der Stadt Flensburg, und die Juristin Alexandra Knak hatten ihren Vortrag unter die Überschrift "Kommunale Ressourcen zwischen ökologischer Notwendigkeit, Verteilungsgerechtigkeit und Freiheitsrechten" gestellt. Die Vorträge waren zudem mit Kommentaren von Akteurinnen der kommunalen Praxis und transdisziplinären Praxispartnerinnen versehen. Hierbei wurde ersichtlich, inwiefern Wachstumsabhängigkeiten Kommunen an einer nachhaltigen Entwicklung hindern. Eine suffizienzorientierte Stadtentwicklung zeichnet sich in diesem Kontext durch eine Verschiebung von privatem Luxus, wie großen Einfamilienhäusern oder privaten PKW, hin zu mehr öffentlichem Wohlstand, in Form von öffentlichen Grünflächen und lebendigen Straßen, aus. Dabei spielt die Frage des Eigentums eine große Rolle, da Kommunen mit eigenen Flächen deutlich aktiver die Stadtentwicklung mitgestalten können. So können im Wohnsektor beispielsweise mithilfe von Konzeptvergabeverfahren, die sich nicht an Investorenrendite, sondern Gemeinwohlkriterien orientieren, attraktive Quartiere als Alternative zu Einfamilienhausgebieten geschaffen werden.

Am Donnerstag führten Maike Böcker und Jonas Lage in die Thematik der suffizienzorientierten Stadtgestaltung als kommunalem Konfliktfeld ein. Ihr Vortrag basierte auf einer empirischen Grundlage von 19 qualitativen Interviews in 12 Städten, die vorwiegend mit Verwaltungsmitarbeitenden zu erfolgreich umgesetzten Suffizienzmaßnahmen geführt wurden. Trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen und betrachteter Sektoren in den einzelnen Städten, ließen sich ähnliche Konfliktlinien beobachten. Zentrale Konfliktlinien zeigen sich, wenn im Rahmen von suffizienzorientierten Projekten Verteilungsfragen berührt werden, beispielsweise wenn Autoparkplätze reduziert oder Interessen von renditeorientierten Investor*innen eingeschränkt werden. Ob die damit verbundenen Konflikte zu Hemmnissen werden, hängt maßgeblich von ihrer (Nicht‑)Bearbeitung ab. Kai Steffen und Thomas Dau-Eckert von der Stadt Flensburg knüpften hieran mit Praxisbeispielen aus der Entwicklung von Spiel- und Bewegungsräume an.

Der Freitag war der Frage der Beteiligung gewidmet. Bernd Sommer erörterte anhand des Reallabors Hafen-Ost in Flensburg welche Rolle Bürger*innenbeteiligung bei suffizienter Stadtentwicklung spielen kann. Diesen Input kommentierten Christina Benighaus von der Gesellschaft für Kommunikations- und Kooperationsforschung mbH Dialogik sowie Claudia Takla-Zehrfeld, Fachbereichsleiterin Stadtentwicklung und Klimaschutz der Stadt Flensburg. Es wurde ersichtlich, dass die systematische Einbindung lokaler Expert*innen zur Entwicklung tragfähiger, passgenauer Lösungen führt. Gleichzeitig gewinnen Maßnahmen dadurch – so argumentierte Sommer – demokratisch an Legitimität. Bei Beteiligung ginge es daher auch nicht allein um Akzeptanzbeschaffung in der Bevölkerung. Denn dies setze einen Entscheidungsprozess voraus, bei dem Expert*innen aus Politik und Verwaltung Entscheidungen treffen, für die dann lediglich noch Akzeptanz gewonnen werden müsse. Beteiligung im oben beschriebenen Sinne könne dagegen sehr viel mehr leisten und grundlegender ansetzen. Gerade die Suffizienzstrategie kann, so Sommer, in Beteiligungsverfahren bestehen, da sie oftmals Maßnahmen beinhaltet, die nicht nur ökologisch wirken, sondern auch eine größere soziale Teilhabe ermöglichten. Ein Beispiel hierfür wäre eine gut ausgebaute Fahrradinfrastruktur im Vergleich zur kostspieligen E-Mobilität.

Anknüpfend an die Darstellung der Konflikte am Donnerstag zuvor erörterten Maike Böcker und Jonas Lage am Montag, den 2. November, welcher Strategien es für eine erfolgreiche Umsetzung kommunaler Suffizienzmaßnahmen bedarf. Dabei gingen sie auf folgende von Ihnen identifizierten Strategien ein: Eine Idee des Städtischen, ein aktives Selbstverständnis der Stadtverwaltung, ein langer Atem für die konsequente Zielverfolgung und langfristiges Durchhaltevermögen, die Verfügbarkeit zentraler Ressourcen (Boden, Geld, Personal), eine gemeinsame Gestaltung von Politik und Verwaltung, eine Stadtentwicklung mit Vielen, die regionale Zusammenarbeit sowie zielorientierte, fehlerfreundliche und anpassungsfähige Verfahren. Im darauf folgenden Vortrag berichtete Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes Friedrichhain-Kreuzberg, aus der Praxis und zeigte auf wie suffiziente Stadtgestaltung aussehen kann. Konkret ging es hier um die Einführung von Pop-Up Bike Lanes in Berlin durch die Stadtverwaltung. Anknüpfend an den ersten Vortrag an diesem Tag wurde durch den Praxisbericht deutlich, dass Stadtverwaltungen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und politischer Vorgaben durchaus gestalterisch tätig werden können.

Die Podiumsdiskussion am Dienstagabend beschäftigte sich mit der Corona-Pandemie und damit einhergehend mit erzwungenen Suffizienzmaßnahmen. Fragen der sozialen Ungleich wurden ebenso thematisiert wie die Frage, welche der Folgen der Pandemie auch für die Zeit nach Corona beibehalten werden sollten. Es diskutierten Mauritz Renz von Architects 4 Future, Felix Weisbrich, der Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Sybille Bauriedl, Professorin für Geografie an der EUF sowie Stefan Postert der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Die Moderation leitete Kathrin Fischer, Pressesprecherin der EUF. Sybille Bauriedl ging in der Diskussion auf ihre Forschungen zum Thema "Smart Cities" ein. Sie warnte vor der Gefahr, dass im Zusammenhang mit der Digitalisierung, die durch Corona einen weiteren Schub erfahre, die Akteur*innen der Plattformökonomie weiter an wirtschaftlicher Macht gewinnen und Konzentrationsprozesse sich dadurch noch verstärken könnten. Der Berliner Felix Weisbrich argumentierte, dass es keine weiteren "Masterpläne" für die nächsten 30 Jahr bräuchte, sondern vor allem konkrete Strategien und Lösungen für die akute Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen.

Am letzten Tag der Konferenz drehte sich alles um das Thema "Kommunale Finanzen und Bodenpolitik". Henning Brüggemann, Bürgermeister der Stadt Flensburg, veranschaulichte in seinem Vortrag die Wachstumszwänge von Stadtverwaltungen. Schließlich verspricht Wachstum Kommunen eine Begrenzung der Ausgaben sowie eine Steigerung der Einnahmen und wird überdies durch die Gemeindefinanzierung belohnt. Die Verfolgung einer suffizienten kommunalen Flächenpolitik, das heißt zum Beispiel die Bewahrung von Freiflächen, wird hingegen derzeit finanziell nicht belohnt.  Eine Reformierung der Gemeindefinanzierung wäre demnach notwendig. Daran anschließend berichtete Ulrich Soldner von der Stadt Ulm aus seiner Erfahrung mit der Förderung der aktiven Innen- anstelle von Außenentwicklung bei der Flächenvergabe in Ulm. Durch das Nutzen von innerstädtischen Flächenpotentialen soll grundsätzlich ein ungebremstes Wachstum in die umlegende Natur und Landschaft eingedämmt werden. Kommentiert wurden die beiden Vorträge von Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei der Landesregierung in Schleswig-Holstein.

Besonders gefreut haben wir uns über die rund 430 Teilnehmende der digitalen Abschlusskonferenz und hoffen, unter anderem mit einer Buchpublikation, in der wir die Forschungsergebnisse praxisnah aufarbeiten, weiterhin im Dialog mit der Öffentlichkeit und den städtischen Verwaltungen zu bleiben.