Offizielle Pressemitteilungen der Europa-Universität Flensburg (EUF)
Weltweit erstmalig
"Dieses Seminar hat für mich sehr viel Bedeutung", erzählt Marie Carstensen. Die Bachelorstudentin studiert an der Europa-Universität Flensburg (EUF) Musik und Französischfür das Lehramt an Gemeinschaftsschulen. In diesem Herbstsemester hat sie im Seminar "Expert*innen in eigener Sache" regelmäßig Kontakt zu den beiden Bildungsfachkräften Laura Schwörer und Samuel Wunsch. Ihr Eindruck:"Das ist wirklich das einzige Seminar, das sich emotional mit Inklusion beschäftigt. Das ist für mich sehr wichtig, damit ich mich später in einer Schülerin oder einen Schüler rein versetzen kann. Nur in diesem Seminar lerne ich, meine eigenen Berührungsängste zu erfahren und abzubauen."
Die Bildungsfachkräfte
Laura Schwörer hat das Asperger-Syndrom und einen Hauptschulabschluss, sie tanzt, malt, singt im Chor und spielt in einer Band E-Bass. Samuel Wunsch hat eine Lernschwäche und einen Förderschulabschluss. Er segelt, reist, singt ebenfalls im Chor und gestaltet am Computer Klangwelten. Beide bieten seit 2016 Bildungsangebote im Hochschulbereich an und vermitteln unter anderem angehenden Lehrkräften, was Menschen mit Behinderungen brauchen, um gut lernen zu können. Dabei kämpfen sie gegen Klischees. "Mir ist es wichtig, dass nicht alle Menschen mit einer Diagnose gleich sind", erklärt Laura Schwörer. "Sie sind genauso individuelle Persönlichkeiten wie Menschen ohne Diagnose." Diese Botschaft ist auch Samuel Wunsch wichtig: "Wir sind ganz normale Menschen", sagt er.
International ein einzigartiges Modell
Laura Schwörer und Samuel Wunsch sind zwei von insgesamt sechs Bildungsfachkräften und damit weltweit Pioniere. "Die Bildungsfachkräfte sind international ein einzigartiges Modell", betont Kirsten Diehl, Professorin für Inklusion an der EUF und dort Leiterin des Seminars "Expert*innen in eigener Sache". Sie war Mitglied im Vernetzungsforum "Inklusive Bildung" und ermöglichte den Bildungsfachkräften während der Qualifizierungsphase erste praktische Lehrerfahrungen an der EUF. "Im Rückblick wurden mit dem Projekt ‚Qualifizierung zur Bildungsfachkraft‘ weltweit erstmals drei zusammenhängende Ziele erreicht: Erstens wurden Menschen mit Behinderungen zu Bildungsfachkräften ausgebildet. Mit Verstetigung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, wurde zweitens deren Bildungsleistungen dauerhaft an Fach- und Hochschulen in der regulären Ausbildung implementiert und drittens wurden sie nun mit entfristeten Arbeitsverträgen auf dem ersten Arbeitsmarkt angestellt," sagt Kirsten Diehl.
Das Thema Inklusion für Studierende, Lehr-, Fach-, und Führungskräfte
Initiiert hatte das Projekt 2013 die Stiftung Drachensee. Finanziert von der "Aktion Mensch" und unterstützt von der schleswig-holsteinischen Landesregierung wurden sechs Menschen mit Behinderungen über drei Jahre darin qualifiziert, andere Menschen zum Themenfeld Inklusion zu schulen. Unter anderem haben sie in verschiedenen Modulen gelernt, vor Menschen zu sprechen, im Team zu arbeiten, Perspektivwechsel vorzunehmen und Rollenspiele, Gruppenarbeiten etc. anzuleiten. Seit ihrer Zertifizierung 2016 führen die Bildungsfachkräfte, finanziert durch die schleswig-holsteinische Landesregierung, jährlich rund 80 Veranstaltungen durch. An den Hochschulen des Landes erreichen sie so jedes Jahr bis zu 5000 Studierende in Vorlesungen, Seminarsitzungen und Workshops. Neben Studierenden gehören zu ihrer Zielgruppe darüber hinaus Lehr-, Fach-, und Führungskräfte aus unterschiedlichsten Bereichen und Fachrichtungen. Dieses Modell macht Schule: Inzwischen arbeiten bereits an drei weiteren Hochschulstandorten in Deutschland qualifizierte Bildungsfachkräfte.
Mittlerweile eine zentrale Einrichtung der Kieler Universität: Das Institut für Inklusive Bildung (IBB)
Das Modellprojekt Inklusive Bildung der Stiftung Drachensee ist mittlerweile in das Institut für Inklusive Bildung (IIB) überführt worden. Seit dem 1.1.2022 ist das eine zentrale Einrichtung der Kieler Universität. Dessen wissenschaftliche Leitung, Friederike Zimmermann, Professorin für Pädagogisch-Psychologische Diagnostik an der Christians-Albrecht-Universität zu Kiel (CAU), will die Expertise der Bildungsfachkräfte noch umfassender einbinden:"Die Bildungsfachkräfte sind absolute Profis in der Lehre. Ihre Expertise wissen auch die Teilnehmenden zu schätzen, die den inklusiven Seminarsitzungen insgesamt eine hohe Akzeptanz entgegenbringen. Wir freuen uns, die Perspektive der Bildungsfachkräfte nun zunehmend auch aktiv in Forschung zu Inklusion im Bildungsbereich berücksichtigen zu können, so etwa bei der Abstimmung von Erhebungsverfahren oder inklusiveren Ergebnisveröffentlichungen." Perspektivisch soll das Institut für Inklusive Bildung zu einem deutschen Inklusionszentrum ausgebaut werden. Darin entstehen berufliche Ausbildungen, durch die Menschen mit Behinderungen deutlich mehr Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten.
Hintergrund zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen
1992 wurde der Aktionstag von den Vereinten Nationen ausgerufen und wird seit 1993 jedes Jahr am 3. Dezember begangen. Der Tag fällt dieses Jahr auf einen Samstag. Er soll das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen stärken. 1994 folgte der Zusatz im deutschen Grundgesetz, dass "niemand […] wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" darf. Im Jahr 2009 trat in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft.