Transformationen des polizeilichen antiziganistischen Diskurses: vom „rassischen“ Paradigma zur genozidalen Praxis (1850-1950)

Zusammenfassung

  1. Das Teilprojekt soll grundlegende neue Erkenntnisse über den Transformationsprozess von einem primär soziografischen Zigeuner-Verständnis hin zu einem "rassenbiologischen" Begriff zwischen 1850 und 1950 liefern und Verschränkungen von Antiziganismus, Antisemitismus und Kolonialrassismus herausarbeiten.
  2. Erstmals soll das transnationale Diskurs- bzw. Korrespondenznetzwerk, das Wissen über Sinti*zze und Rom*nja produzierte, in seiner von vielfältigen Verflechtungen geprägten Genese dargestellt werden. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf Kriminologie und Medizin; auch geschlechtergeschichtliche Zugänge werden berücksichtigt.
  3. Das Projekt wird Aufschluss über die Agency von Angehörigen der Minderheit geben und Formen ihrer Selbstbehauptung offenlegen – eine Perspektive, die in der historischen Antiziganismusforschung bislang wenig Beachtung fand.

Forschungsfragen

  1. Welche Rolle spielte die Wissenschaft bei der rassistischen Wissensproduktion über Sinti*zze und Rom*nja? Inwiefern lassen sich Verknüpfungen zu anderen Diskurssträngen wie der Populärkultur ausmachen? Was waren die Folgen für die Praxis der staatlichen Verfolgung?

  2. Wie vollzog sich der transnationale Transfer von Wissen, Personen und Praktiken? Was war seine Bedeutung für den NS-Völkermord an Sinti*zze und Rom*nja in Europa?

  3. Welche wechselseitigen Bezüge zwischen Selbstentwürfen der Mehrheitsgesellschaft, Antiziganismus und anderen Othering-Diskursen (Antisemitismus, Kolonialrassismus) lassen sich empirisch feststellen? Inwieweit wirkten Fremdrepräsentationen auf Selbstartikulationen zurück?

Kooperationen

mit anderen Projekten: Der fachspezifische Diskurs und die damit einhergehende Praxis staatlicher Verfolgung soll in Abgrenzung zu anderen Diskurssträngen (Ethnologie, Populärkultur/visuelle Kultur, Literatur)verortet und nach wechselseitigen Einflüssen gefragt werden. Dabei sollen Selbstartikulationen der Betroffenen gegen diskriminierende Fremddarstellungen und Praktiken beleuchtet werden. Auf diese Weise können Bezüge zur "Zigeunerkunde" (TP 4) sowie zur geheimdienstlichen Überwachung politischer Roma-Aktivitäten (TP 5) hergestellt werden bzw. Spannungsverhältnisse hin zu Emanzipationsbestrebungen in der Zwischenkriegspublizistik (TP 5) wie auch zu den Künsten (TP 1, TP 2, TP 3) analysiert werden.

mit anderen Institutionen: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Fritz Bauer Institut, Central European University (Department of History, Department of Gender Studies), Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, Deutsches Historisches Institut Washington

Tagung 2: "Selbstartikulation und europäische Verfolgungsgeschichte" in Heidelberg, verantwortet von TP 5 (Patrut) und TP 6 (Penter/Reuter) in Zusammenarbeit mit dem Mercator-Fellow (Bogdal).

Untersuchungsräume

Kernuntersuchungsraum: Deutsches Reich

Zusatzraum: Österreich, Elsass, Protektorat Böhmen und Mähren

Ziele

ZIEL 1 – Archivalische Bestandsaufnahme und Analyse des wissenschaftlichen Diskurses (insbesondere Kriminologie und Eugenik) sowie der gegen Zigeuner gerichteten behördlichen Maßnahmen in Abgrenzung und Verschränkung zu anderen Othering-Diskursen (Antisemitismus, Kolonialrassismus).

ZIEL 2 - Rekonstruktion derDefinition von Zigeunern im NS-Staat und der daraus resultierenden Exklusions-, Selektions- und Deportationspraxen im Deutschen Reich und dessen Grenzräumen.

ZIEL 3 - Eruierung der sozio-ökonomischen Situation von Sinti*zze und Rom*nja abseits der Stereotype.

Teilprojektverantwortliche

Prof. Dr. Tanja Penter

Universität Heidelberg

Forschungsstelle Antiziganismus

Professorin für Osteuropäische Geschichte

Weitere Informationen auf der Webseite der Universität

Dr. Frank Reuter

Universität Heidelberg

Forschungsstelle Antiziganismus

Wissenschaftlicher Geschäftsführer

Weitere Informationen auf der Webseite der Universität