Arbeitsgruppen und Paper Sessions

In Ergänzung zu den Keynotes werden praxeologische Zugänge zu Differenz im erziehungswissenschaftlichen Diskurs in Arbeitsgruppen und Paper Sessions thematisiert.

28. Januar 2016 | Arbeitsgruppen | 14.45 - 16.45 Uhr

Dr. Hauke Straehler-Pohl | Dr. Nina Bohlmann | Dr. Nino Ferrin | Freie Universität Berlin

In den letzten Jahren hat sich im deutschsprachigen Raum eine "Soziologie des Unterrichts" (Gellert & Sertl, 2012) entwickelt, auf deren Basis eine Reihe qualitative empirischer Studien entstanden sind, welche rekonstruieren, wie im Fachunterricht Differenzen zwischen Schülern entlang des Markers 'Leistung/Leistungsfähigkeit' konstru iert werden. Neben der Orientierung an Basil Bernsteins Theorie des pädagogischen Dispositivs und der pädagogischen Codes ist diesen Studien gemeinsam, dass sie eine praxeologische Erkenntnisweise anstreben.

In diesem Zusammenhang weisen die Studien von Straehler-­‐Pohl & Gellert (2015), Bohlmann (2015) und Ferrin (2013) darauf hin, dass Körperpraktiken bei der Konstruktion von Leistungsdifferenzen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, ohne die körperliche Dimension von interaktionalen Stratifikationsmechanismen systematisch exploriert zu haben. In der Arbeitsgruppe sollen erste systematische Versuche reflektiert werden, Vignetten aus der empirischen Forschung als Re‐Inszenierungen körperlich-performativ zu interpretieren, um diesen innerhalb der o.g. Soziologie des Unterrichts fehlenden rekonstruktiven Zugriff auf Körperpraktiken zu erschließen.

Das Ziel kann es hierbei sowohl sein, den Körper der Akteure als Kommunikationsmedium in die interpretative Rekonstruktion einzubinden, als auch das Potenzial des Körpers der Forschenden als Interpretationsmedium auszuloten. Praxeologische Rekonstruktionen bedeuten in diesem Rahmen eine Aktivierung der leiblichen Praxis als simultanes Ereignis zwischen Reflexion, Performanz und Dateninterpretation.

Die einzelnen Beiträge zur Arbeitsgruppe arbeiten diese Reflexionsprozesse auf und/oder verwickeln die Teilnehmer in entsprechende Interpretationsprozesse. Dabei widmen sich zwei Beiträge den Potenzialen des Körperlichen in Bernsteins Theorie der pädagogischen Codes. Ein dritter Beitrag setzt sich mit körperlichen Praktiken aus pädagogisch-anthropologischer Sicht auseinander. Abschließend gilt es im Plenum, auf Basis der geteilten Erfahrungen gemeinsamer Leiblichkeit praktisch-praxeologische Dimensionen von Körperlichkeit zu diskutieren.

Performativ-mimetische Interpretation bei der Rekonstruktion von Grenzziehungen.
Hauke Straehler-Pohl

Dieser Beitrag bietet eine methodologische Reflexion von Sitzungen einer Forschungswerkstatt, deren Ziel es war, die körperlichen Vermittlungspraktiken von verschiedenen Lehrpersonen durch performativ‐mimetische Interpretation zu rekonstruieren. Der Vergleich mit vorliegenden ausführlichen Analysen von Unterrichtsdiskursen erlaubt es, Entsprechungen und Friktionen zwischen diesen Rekonstruktionsmodi für die methodo‐ logische Weiterentwicklung der o.g. Soziologie des Unterrichts fruchtbar zu machen.

Ziel des Beitrags ist

1.) die Exploration des Stellenwerts der körperlichen Praxis bei der geteilten Konstruktion von Grenzziehungen zwischen mit unterschiedlicher Wertigkeit versehenen Diskursformen und Rollenoptionen innerhalb der Unterrichtspraxis;

2.) die Exploration des Potenzials des Forscher-Körpers als Interpretationsmedium diesbezüglich.

Die körperliche Dimension der Strukturierung von Mathematikunterricht.
Nina Bohlmann

Die Praxis des Mathematikunterrichts lässt sich als Komplex sozialer Praktiken auffassen, welche durch Routinisiertheit und Unberechenbarkeit gleichermaßen charakterisiert sind. Routinehandeln wird durch implizites Wissen und Verstehen ermöglicht, da einmal vermitteltes und inkorporiertes Praxiswissen dazu tendiert, von den Akteuren immer aufgeführt zu werden und repetitive Muster der Praxis hervorzubringen. Das Ziel des Beitrags besteht darin, die Dimension der körperlichen Ebene in sozialen Praktiken des Mathematikunterrichts hinsichtlich der Frage zu untersuchen, inwiefern die Körperlichkeit von Lehrenden bestimmte Strukturen und Differenzen des Mathematikunterrichts hervorbringt, unterstützt, verstärkt oder sogar konterkariert.

Zur Anthropologie des Lehr-Lern­Körpers.
Nino Ferrin

In Referenz auf die Berliner Ritual-und Gestenstudie soll in einem interdisziplinär angelegten Beitrag der Frage nachgegangen werden, ob Körperpraxen im Fachunterricht (bspw. Mathematik) auch für andere Fächer oder gar für das institutionalisierte Feld als konstitutiv angesehen werden können. An Beispielen etwa aus einer Projektwoche einer Berliner Innenstadtschule wird komparativ zu den anderen Beiträgen rekonstruiert, welche Gesten und Ausdrucksformen zu einer Kultursoziologie des Unterrichts beitragen könnten. Dabei sollen insbesondere die Methoden und Ergebnisse der vorherigen Beiträge aufgegriffen und diskutiert werden, um in eine allgemeine Diskussion über pädagogische Kategorien korporierter Differenzkonstruktion zu überführen und auf die Rolle des Körpers innerhalb der jeweils eigenen Praxis aufmerksam zu machen .

Dr. Nadine Rose | Dr. Anna Schütz | Universität Bremen | Julia Steinwand (M.A.) | Georg-August-Universität Göttingen

Derzeit wird in vielen Bundesländern eine Zusammenführung verschiedener Schulformen in eine 'neue' Sekundarschule betrieben, die mit einer schulischen Entdifferenzierung - aus unterschiedlichen Schulformen wird eine Schulform - und unterrichtlichen Heterogenisierung der Schülerschaft - aus vormals getrennt nach zugeschriebenen Leistungspotenzialen Unterrichteten werden gemeinsam Unterrichtete - einhergeht. In diesem Zusammenhang wird individualisierter Unterricht als pädagogisch-didaktische 'Antwort' auf diese veränderten Rahmenbedingungen entworfen, die verspricht, eine Förderung aller Schüler_innen zu ermöglichen. Interessant ist also die Frage, wie dieser Unterricht mit seiner 'heterogenen' Schülerschaft verfährt, welche Differenzen zwischen Schüler_innen in ihm Geltung erlangen.

Neben bereits gut dokumentierten Unterscheidungen aus Untersuchungen zum Frontalunterricht, die sich auf gender/Geschlechtszugehörigkeit oder/und Positionen in der peerkulturellen Ordnung beziehen (vgl. Breidenstein/Kelle 1998, Budde 2005), geraten zunehmend und vor allem im Rahmen der Erforschung von individualisiertem Unterricht als spezifischem Unterrichtsformat Kategorien - wie etwa der Entwicklungsstand und das Alter, die Arbeitsgeschwindigkeit, die Orientiertheit im Klassenraum und die Selbständigkeit von Schüler_innen bei der Bearbeitung von Aufgaben - als Bezugspunkte differenzierender Prozesse in den Blick der ethnographisch forschenden Schulpädagogik (vgl. Breidenstein/Rademacher 2013, Budde 2013, Rabenstein/Reh/Steinwand/Breuer 2013, Rabenstein/Reh 2013), entlang derer Schüler_innen zueinander hierarchisch relationiert werden. Solche Hierarchisierungen von Differenzen finden entlang von Normen statt, die dann in der Zuweisung spezifischer Leistungspositionen an Schüler_innen wirkmächtig werden. Leistung ist dann auch keineswegs als etwas vorab Festgeschriebenes zu verstehen, sondern erweist sich in der Beobachtung als stets zu aktualisierende, lerngruppenspezifische soziale Konstruktion.

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen lässt sich individualisierter Unterricht nicht nur als institutionelle 'Antwort' auf eine zunehmend als 'heterogen' verstandene Schülerschaft verstehen, vielmehr tritt dieser auch als Unterricht in Erscheinung, der selbst "heterogenisiert" (vgl. Rabenstein/Steinwand 2013). In der geplanten Arbeitsgruppe soll daher der Zusammenhang von schulischen Leistungs- und Differenzkonstruktionen im individualisierten Unterricht aus methodologischer und empirischer Sicht diskutiert werden. Denn eine Neubeschreibung der Entstehung von Leistungspositionen jenseits der Logiken, die bislang für schulformspezifischen Unterricht beschrieben worden sind (vgl. Kalthoff 1995, Breidenstein 2006, Zaborowski et al. 2011), steht aus unserer Sicht noch weitgehend aus. Deshalb schlagen wir vor, Leistung als Rahmen von Differenzordnungen im Unterricht zu verstehen (vgl. Rabenstein/Reh/Ricken/Idel 2013), und fragen nach in unterrichtlichen Praktiken zu beobachtenden, hierarchisierenden Differenzierungen von Schüler_innen im Unterricht der Sekundarschule. Dies erfolgt entlang der Ergebnisse aus dem Projekt GemSe ("Gemeinschaft und soziale Heterogenität in Eingangsklassen reformorientierter Sekundarschulen. Ethnographische Fallstudien zu Anerkennungsverhältnissen in individualisierenden Lernkulturen", BMBF-gefördert von 2011-2013), die in der Arbeitsgruppe entfaltet, an Fallbeispielen präzisiert und zur Diskussion gestellt werden.

Für die Arbeitsgruppe sind vier Einzelvorträge und zwei Kommentare geplant.

Methodologische Überlegungen zur Relationierung von Unterschieden im Sekundarschulunterricht.
Till-Sebastian Idel (Universität Bremen) | Kerstin Rabenstein (Universität Göttingen)

Im ersten Beitrag wird der im Forschungsprojekt GemSe für die Feldforschung entwickelte methodologische Vorschlag formuliert, dass Leistung im Sinne einer Feldlogik als 'zentrale Währung' von Unterricht verstanden werden kann. Entlang eines erweiterten Verständnisses von Leistung - als rekursiver Zusammenhang von Aufgaben stellen, Leistung zeigen und Leistung bewerten - wird die These der Verschiebung von Leistung im individualisierenden Unterricht sodann plausibel gemacht. Im dritten Schritt wird gezeigt, wie Differenzen, die in unterrichtlichen Praktiken emergieren, als in Bezug auf Leistung relationierte zu rekonstruieren sind. Die Produktivität dieses heuristischen Zugangs soll im Weiteren an den Ergebnissen ausgewählter Fallstudien diskutiert werden.

Drei Fallstudien zur Relationierung von Unterschieden im Sekundarschulunterricht.
Nadine Rose (Universität Bremen) | Anna Schütz (Universität Bremen) | Julia Steinwand (Universität Göttingen)

Anschließend an den methodologischen Input wenden wir uns in der Darstellung von drei Fallstudien Besonderheiten des Feldes der Sekundarschule neuen Typs zu. Dazu wurden empirischer Daten aus drei großstädtischen Schulen analysiert, um sie dann miteinander zu kontrastieren. Dabei richten wir den Blick auf die Frage, wie in den ethnographierten Lerngruppen Unterschiede und damit verbundene Hierarchisierungen zwischen Schüler_innen praktisch (relevant) gemacht werden und fragen, entlang welcher Differenzierungen Schüler_innen hier als 'Leistungsstarke' und '-schwache' im Unterricht positioniert werden. So kann im Vergleich der Fallstudien eine Bandbreite der Inszenierung von Leistungsordnungen im Kontext heterogenisierter und individualisiert unterrichteter Lerngruppen abgebildet werden, um daran anschließend zu diskutieren, inwiefern im Unterricht der vermeintlich entdifferenzierten Sekundarschule bekannte oder auch neue Differenzierungsmöglichkeiten entstehen.

Kommentare (angefragt): Christina Huf (Universität Bremen) | Friederike Heinzel (Universität Kassel)

Prof. Dr. Johannes Bellmann | Dr. Nicole Balzer | Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Frage nach dem spezifischen Charakter von pädagogischen Praktiken findet in praxistheoretischen Ansätzen zur Erforschung von Erziehungs- und Bildungswirklichkeiten anhaltend Bearbeitung. Insbesondere in der praxeologischen Unterrichtsforschung, aber auch in Forschungen im Feld der Frühpädagogik sowie der Erwachsenen- und Weiterbildung wird verdeutlicht, dass für pädagogische Praktiken (und Ordnungen) die Bearbeitung und Hervorbringung von Differenzen - wie die zwischen Aneignung und Vermittlung, die zwischen schulisch relevantem und nicht relevantem Wissen und Können, die zwischen Schüler*innen, Schüler*innen und Lehrer*innen, Kindern und Erwachsenen oder die zwischen der Schule und der Lebenswelt - konstitutiv sind.

Vor diesem Hintergrund fragt die Arbeitsgruppe nach der Bedeutung von Differenzkonstruktionen für die Konstituierung spezifischer (pädagogischer) Praktiken. Ausgehend von der Annahme, dass Praktiken nicht nur in praktischen Vollzügen, sondern auch auf (diskursiv-)textueller Ebene hervorgebracht werden, werden mit zwei Leitkonzepten - dem der (begabungsgerechten) individuellen Förderung und dem der Wissenschaftsorientierung - verbundene Praxisvollzüge und wissenschaftliche Texte hinsichtlich der in ihnen je enthaltenen Signifizierungen differenter pädagogischer Praktiken untersucht. Im Zentrum exemplarischer Analysen steht die Frage danach, inwiefern die in unterschiedlichen Daten(sorten) - einerseits Dokumente und andererseits Beobachtungsprotokolle sowie Audiographien - rekonstruierbaren Signifizierungen von (pädagogischen) Praktiken Referenzen auf unterschiedliche Differenzlinien und -konstrukte implizieren. Ziel ist es daher nicht, aufzuzeigen, inwiefern in Praxisvollzügen textuelle Repräsentationen von Praktiken 'enthalten' sind (oder umgekehrt). Vielmehr sollen in der Arbeitsgruppe die Möglichkeiten der Relationierung von auf Basis unterschiedlicher Forschungsmethoden gewonnener Befunde eigens ausgelotet werden.

Als Diskutant wurde Dr. Dominik Krinninger (Universität Osnabrück) angefragt.

Die Differenz des wissenschaftlichen Wissens: Zur Konstruktion von Praktiken der Hochschullehre.
Prof. Dr. Johannes Bellmann | Dr. Nicole Balzer

Im Rahmen praxeologischer Ansätze in der Erziehungswissenschaft wird nicht nur die Bedeutung impliziten, prozedural-praktischen Wissens ins Zentrum gerückt, sondern vielfach auch darauf verwiesen, dass pädagogische Praktiken sowohl auf die Vermittlung und Aneignung von Wissen als auch auf die Bearbeitung unterschiedlicher Wissensformen hin gerichtet sind. Dennoch lassen sich Analysen, welche die Bedeutung explizi(er)ten Wissens für (die Konstituierung von) Praktiken fokussieren, bislang nur selten finden. Vor diesem Hintergrund wird im Beitrag einerseits analysiert, wie in hochschuldidaktischen Texten die Praxis der Hochschullehre als eine in spezifischer Weise mit wissenschaftlichem Wissen befasste Praxis konstruiert wird. Auf Basis teilnehmender Beobachtungen an und Audiographien von Bachelor-Lehrveranstaltungen wird mittels praxeologisierender Analysen andererseits untersucht, wie in universitären Praktiken die Differenz von wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Wissen bearbeitet und hervorgebracht wird.

Die Differenz der Begabungen: Zur Konstruktion von Praktiken der individuellen Förderung.
Sebastian Schweizer | Katharina Hans

Im Hinblick auf begabungsgerechte individuelle Förderung lässt sich eine doppelte Diffe- renz(re)konstruktion nachzeichnen. Auf der Ebene des schulischen Geschehens geht es um die Frage der praktischen Hervorbringung und Signifizierung von individueller Förderung, während es auf der Ebene einer Beobachtung zweiter Ordnung um die Frage geht, wie in erziehungswissenschaftlichen Forschungen bestimmte Praktiken als Förderpraktiken beo- bachtet und so als spezifische (Förder-)Praktiken allererst konstruiert werden. Der Beitrag analysiert in einem ersten Teil, wie im Kontext begabungsgerechter individueller Förderung auf diskursiv-textueller Ebene unterschiedliche Differenzkonstruktionen erzeugt werden. Im zweiten Teil wird anhand erster Auswertungen aus einem praxeographisch angelegten For- schungsprojekt die Hervorbringung von individueller Förderung als einer spezifischen pä- dagogischen Praktik untersucht.

Prof. Dr. Kerstin Jergus | Universität Bremen | Prof. Dr. Marc Schulz | Fachhochschule Köln
Dr. Sabine Bollig | Université du Luxembourg | Dr. Florian Eßer | Stiftung Universität Hildesheim

Mit Blick auf die Frage welche Möglichkeiten und Grenzen Praxistheorien zur Analyse von Erziehungs- und Bildungswirklichkeiten stiften (vgl. CfP) diskutiert diese Arbeitsgruppe den Beitrag praxeologischer Ansätze im Zusammenspiel mit anderen Bezugstheorien erziehungswissenschaftlicher Forschung. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich die Praxis empirischer praxistheoretischer Forschung zumeist in der Kombination unterschiedlicher Theoriebezüge vollzieht, wobei sich diese grundlegend in Theorien des Sozialen, des Gegenstandes und der Methode (Meseth 2011) ausdifferenzieren lassen. Die forschungsstrategische Kombinatorik unterschiedlicher Theorien in der aktuellen qualitativen Forschung in der Erziehungswissenschaft legt den 'Job' der Praxistheorien jedoch nicht nur im Bereich der Sozialtheorie fest, sondern erstreckt deren Wirkung auch auf die übrigen Ebenen, zudem lässt sich auch eine Kombination unterschiedlicher Sozialtheorien beobachten, was vermuten lässt, dass Praxistheorien sehr unterschiedliche Leistungen in erziehungswissenschaftlichen Forschungsvorhaben erbringen. Die Arbeitsgruppe wird daher den vielfältigen Relationen von Praxistheorien und anderen Bezugstheorien in erziehungswissenschaftlicher Forschung zwischen Sozial-, Gegenstands-und Methodentheorie nachgehen. Exemplarisch werden in den einzelnen Beiträgen der Arbeitsgruppe auf der Grundlage konkreter empirischer Projekte praxistheoretische Brückenschläge zu Diskurstheorie (Jergus), Körpersoziologie (Eßer), Performativitätstheorie (Schulz) und zur wohlfahrtstheoretischen Kindheitsforschung (Bollig) beschrieben und analysiert. Auf diese Weise thematisieren die Beiträge dieser Arbeitsgruppe alle das Verhältnis von Praxistheorien zu anderen Bezugstheorien erziehungswissenschaftlicher Forschung und fragen, wie und in welcher Weise Praxistheorien dabei relevant gemacht werden und welche Effekte, Gewinne und Probleme dabei zu beobachten sind.

Praktiken und Diskurse – zwei Seiten einer Medaille.
Kerstin Jergus (Bremen)

Das Verhältnis von Praktiken und Diskursen wird nicht selten als Gegensatz beschrieben, während doch zugleich Ähnlichkeiten der beiden Forschungsstrategien 'Praxeologie' und 'Diskursforschung' zu bemerken sind: Beide Zugänge gehen davon aus, dass Sinn nicht einfach vorliegt, sondern praktisch hervorgebracht wird; beide zielen auf Gegenstände, die soziokulturelle und soziohistorische Wandlungen erfahren und beide verbinden eine Erkenntnistheorie mit einem methodologischen und methodischen Zugang. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Beitrag die Frage, wie jeweils "Praxis" und "Subjektivität" konzipiert wird und befragt dabei die für beide Strategien zentralen Theoreme von Adressierung, Anerkennung, Subjektivierung auf ihre jeweiligen forschungslogischen Konsequenzen für erziehungswissenschaftliche Forschung.

Sozialpädagogische Berührungen. Körperbezogene Sorgearbeit aus praxeologischer und körpersoziologischer Perspektive.
Florian Eßer (Stirling/Hildesheim)

In vielen (sozial-)pädagogischen Feldern gehört Sorgearbeit die direkt auf den Körper von Kindern und Jugendlichen wirkt zum wesentlichen Bestandteil des professionellen Handelns. Zugleich ist gerade in diesen Bereichen der Körperkontakt zwischen erwachsenen Sozialpädagog_innen und Kindern problematisch und suspekt geworden. In der Verknüpfung praxistheoretischer und körpersoziologischer Ansätze wird gezeigt, wie Körperkontakte zwischen den Generationen in sozialpädagogischen Kontexten alltäglich und konkret praktiziert werden und wie hierin spezielle Kinder- und Erwachsenenkörper entstehen. Die Grundlage hierfür bietet eine Ethnographie in einer Heimerziehungseinrichtung in Schottland.

'Performances' als Praktiken der öffentlichen Aufführung.
Marc Schulz (Köln)

Ausgehend von der "impliziten Grundannahme der Öffentlichkeit sozialer Praktiken" (Schmidt/Volbers 2011, S. 24) fokussiert der Beitrag den Öffentlichkeitscharakter körperlicher Aufführungen im Kontext eines außerschulischen Bildungsorts, der Offenen Kinder-und Jugendarbeit.

Ästhetisierte Aufführungen von Jugendlichen können dabei als 'Performances' beschrieben werden (vgl. Schulz 2010). Die damit vorgenommene Verknüpfung von praxis- und performativitätstheoretischen Perspektiven ermöglicht dabei, erstens die emergente Wirkung dieser artefaktgestützten Körper-Veröffentlichungen von Jugendlichen heraus zu arbeiten, zweitens diese situativen und gemeinschaftlichen Hervorbringungen als spezifische Differenzmomente des Pädagogischen zu analysieren und drittens den pädagogischen Gehalt des Öffentlichen zu diskutieren.

Kinder als Akteure von Tagesbetreuungssystemen? Zur praxistheoretischen Perspektivierung der wohlfahrtstheoretischen Kindheitsforschung.
Sabine Bollig (Luxemburg)

Dieser Beitrag fragt danach wie Praxistheorien dazu beitragen, wohlfahrtstheoretische Fragestellungen mit Blick auf dem Beitrag von Kindern zu gesellschaftlichen Organisation von Kindheit zu perspektivieren. Auf der Basis ethnografischer Fallstudien werden dazu die Betreuungsarrangements 2-4 jähriger Kinder in Luxemburg aus praxisanalytischen Perspektive erschlossen, wobei Schatzkis Verknüpfung von 'Praktiken' und 'Arrangements' den heuristischen Rahmen liefert, um die Alltagspraxen der Kinder als Elemente der Betreuungsarrangements selbst und daher ihrer Positionierung im Luxemburger Tagesbetreuungssystem herauszuarbeiten. Das Verhältnis zwischen Wohlfahrtstheorie, Kindheitstheorie und Praxistheorie wird dabei sowohl gegenstandstheoretisch wie auch forschungspragmatisch reflektiert.

Prof. Dr. Antje Langer | Universität Paderborn | Dr. Marion Ott | Goethe-Universität Frankfurt am Main
Prof. Dr. Daniel Wrana | Cornelia Dinsleder (wiss. Mit.) | Katharina Helena Scharl (M.A.) | Pädagogische Hochschule in der Nordwestschweiz

Die Arbeitsgruppe ist als Workshop geplant, in dem gemeinsam an methodologischen und theoretischen Fragen zur Gegenstandskonstruktion von Praktiken der Differenzierung und den für solche Studien angemessenen Forschungsdesigns gearbeitet werden soll. An konkreten Materialbeispielen, die eine Dichte unterschiedlicher Dimensionen eines Phänomens enthalten, sollen theoretische Konzepte der Relationierung dieser Dimensionen sowie methodologische Ideen zu einer mehrdimensionalen Analyse von Praktiken der Differenzierung diskutiert werden. Da wir nicht Einzelvorträge halten, sondern gemeinsam einen Diskussionsraum gestalten möchten, ist der folgende Problemaufriss als gemeinsames Exposé angelegt.

Für das Design praxeologischer Forschungsprojekte zur Analyse der Produktion von Differenzen und/oder Praktiken der Differenzierung ist die theoretische Konstruktion des analytischen Gegenstands von Bedeutung. Während eher interaktionistische Ansätze auf das lokale "doing difference" in pädagogischen Handlungssituationen fokussieren, haben Ansätze, die an die Kritische Theorie oder den Poststrukturalismus anschließen, den Anspruch, darüber hinaus das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse in ihrem Zusammenwirken in den Blick zu nehmen. Die Praktiken der Differenzierung in pädagogischen Institutionen sowie ihre gesellschaftlichen Funktionen und Effekte sollen dabei als alltägliches Phänomen von hoher Komplexität untersucht werden. Berücksichtigt werden soll zudem, dass pädagogische Verhältnisse grundlegend von Machtasymmetrien durchzogen sind, die die Positionen präformieren, aus denen heraus Akteure agieren können. Schließlich soll die Dynamik der Bildungsinstitutionen und pädagogischen Professionen einbezogen werden, die sich in den letzten Dekaden in einem immer stärkeren Maße an einem bildungspolitischen Gouvernement von Programmatiken auszurichten haben. Aus solchen Perspektiven vollziehen sich Differenzierungen weder nur in den Interaktionen professioneller Pädagog_innen und ihrer Adressat_innen, noch sind sie nur Effekt der programmatischen Erzeugung und institutionellen Verwaltung von Kategorisierungen der Adressat_innen. Was oft in getrennten Analysen und mit verschiedenen Theoriereferenzen untersucht wird, soll hier als aufeinander bezogene Dimensionen im Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse begriffen werden. Eine zunehmende Zahl von praxeologischen Studien untersucht in diesem Sinn die spezifische Logik solcher Konstellationen.

Um komplexe Gegenstände analytisch zu beschreiben, ist es notwendig, in das Forschungsdesign mehrere Untersuchungsebenen und Materialsorten einzubeziehen. Je genauer man beispielsweise Reformprogramme in den Blick nimmt, umso deutlicher wird, dass deren Wirksamkeit über zahlreiche Akteure und Handlungsorte des Bildungssystems vermittelt sind, in denen verschiedene Vollzugslogiken und Interessen 'mitspielen'. Um etwa zu analysieren, wie die Differenzierung von 'kompetenten' und 'inkompetenten' Erwerbslosen erzeugt wird, gilt es nicht nur, die pädagogischen Settings zu untersuchen, in denen solche Kategorisierungen adressiert werden. Vielmehr sind auch jene Mittel zu analysieren, in denen sich Kompetenz/Inkompetenz materialisiert wie Profilingveranstaltungen, Testverfahren, Kompetenzerfassungsbögen, Selbstauskünfte etc. Zugleich sind gesellschaftliche Institutionen (z.B. Arbeitsagenturen, Bildungsträger) und Organisationskontexte (z.B. Vermittlungsdienstleistungen, Programme der Aktivierung) bedeutsam, in denen die Differenzierung ihre Relevanz erhält sowie die jeweiligen gesellschaftlichen Debatten. Ausgehend von einer analytischen Problemsicht, die einen komplexen Zusammenhang verschiedener gesellschaftlicher Orte der Produktion von Diskursivität und Machtverhältnissen annimmt, stellt sich aber das forschungspraktische Problem, nur eine begrenzte Zahl von Dimensionen in das Design einbinden zu können. Hinzu kommt das methodische Problem, die Auswahl der Ebenen im analytischen Zusammenhang zu begründen. Dagegen steht die Sorge, die Analyse büße bei Auslassung dieses oder jenes Aspekts Gehalt oder Aussagekraft ein. Diese unterstellt allerdings, man könnte den Gegenstand als geschlossenes Ganzes - also in seiner Totalität - erfassen. Dieser Anspruch steht jedoch dem grundlegenden Interesse praxeologischer Forschung entgegen, die prinzipielle Offenheit des Sozialen gegenüber kategorialen Zuweisungen stark zu machen. Vielmehr bringt er die Gefahr mit sich, eben diese zu reifizieren.

Um die Komplexität des analytischen Gegenstandes angemessen zu beschreiben, liegt es daher nahe, die einbezogenenen Materialsorten und Untersuchungsdimensionen als gegenseitige Kontextuierung zu begreifen und somit der Unabschließbarkeit des Gegenstands gerecht zu werden (Kelle 2001). Eine andere Gefahr bei solchen Designs besteht darin, über eine strikte analytische Trennung der Untersuchungsebenen (z.B. als Programm vs. Umgangsweise oder als Diskurs vs. Alltagspraxis) selbst artifizielle Effekte hervorzubringen. Begreift man die zu untersuchenden Ebenen aber als Dimensionen des selben komplexen Phänomens wären die oft differenzierten Aspekte (etwa lokale und situierte Praktiken, Programmatik, Organisation, Objekte und Körper) nicht nur als untrennbar miteinander verwoben zu betrachten, sondern auch in ihrem Zusammenhang analytisch fassbar zu machen.

29. Januar 2016 | Paper Sessions | 10.15 -11.45 Uhr

Differenz und Passung: Zum Umgang mit der Sache im individualisierten Unterricht.

Dr. Matthias Martens | Goethe-Universität Frankfurt am Main

Innerhalb der Programmatik des individualisierenden Unterrichts gilt selbstständiges Lernen als Voraussetzung für fachliche Bildungsprozesse. Empirische Studien zeigen allerdings, dass im individualisierenden Unterricht der Sach- dem Selbstständigkeitsanspruch untergeordnet wird und es zu einer Formalisierung von Bildungsprozessen bzw. zu einer Entfachlichung des Unterrichts kommt (vgl. z.B. Huf 2006; Bräu 2013; Reh 2013; Idel & Rabestein 2013; Breidenstein 2014).

Im Vortrag soll die Frage nach dem Umgang mit der Sache praxeologisch aus zwei Perspektiven bearbeitet werden: Zum einen geht darum zu untersuchen, welche Differenzen in der Auseinandersetzung mit der Sache (re-)produziert werden. Zum anderen soll untersucht werden, welche Passungsverhältnisse der Orientierungsrahmen der Beteiligten in diesen Auseinandersetzungen entstehen. Zentral sind dabei einerseits die Rekonstruktion des Lehrhabitus, der die Auswahl und Präsentation des Unterrichtsgegenstands strukturiert, sowie andererseits die Rekontextualisierungsprozesse der SchülerInnen, innerhalb derer die propositionalen Gehalte der Unterrichtsgegenstände und der Aufgabenstellungen an die eigenen Orientierungsrahmen angeschlossen werden. Im Fokus steht die Verwobenheit simultaner Differenz- und Passungsverhältnisse sach- und lernbezogener Orientierungen der SchülerInnen sowie der Lehrpersonen, die die Unterrichtsinteraktion strukturierten.

Die Fragestellung für den Tagungsbeitrag ist im Habilitationsprojekt "Passung von Lehr- und Lernkompetenzen im individualisierenden und differenzierenden Unterricht der Sekundarstufe" (Martens 2015) verortet. Hierfür wurden in unterschiedlichen Klassenstufen einer Gesamtschule insgesamt mehrere Wochen Unterricht videografiert und Gruppendiskussionen mit den SchülerInnen über lern- und schulkulturelle Erfahrungen sowie Interviews mit den beteiligten Lehrpersonen geführt. Die Datenauswertungen erfolgt mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2007; Martens u.a. 2014). Diese ermöglicht eine integrierende Analyseperspektive auf Sprachlichkeit, Körperlichkeit und Materialität unterrichtlicher Praktiken und die darin eingelagerten Wissensbestände.

Un/Doing Privacy? Kreisgespräche in der Sekundarstufe I.

Prof. Dr. Hedda Bennewitz | Dr. Michael Hecht | Technische Universität Dresden

Morgenkreis, Montagskreis, Klassenrat - in vielen Varianten begegnen sich Lehrpersonen und Kinder in Kreisgesprächen in der Grundschule (Heinzel 2001). Für die Sekundarstufe I liegen so gut wie keine Erkenntnisse vor, obwohl sie an Schulen mit reformpädagogischen Konzepten zum pädagogischen Alltag gehören. Die ersten vorzustellenden Befunde resultieren aus einem ethnographischen Forschungsprojekt in den Jahrgängen 8 und 9 einer staatlichen und dreier Schulen in freier Träger- schaft. Kreisgespräche werden hinsichtlich ihrer Funktionen und Anforderungen an die teilnehmenden Akteure analysiert. Wir konnten beobachten, dass auf eine entgrenzende - weil auf die "ganze Person" abzielende - Logik mit Praktiken der Begrenzung geantwortet wird. Wir stoßen auch auf Phänomene, die mit Hirschauer (2014, 188) als Un/Doing Differences bzw. temporär begrenzte "Gradualitäten von Mitgliedschaften" beschrieben werden können. Die Teilnehmenden entwerfen sich im Schnittfeld von Peer- und Schüler-Sein (Bennewitz et al. 2015) und zeigen sich auch als (private) Person. Die Teilnehmenden stellen Privatheit im öffentlichen schulischen Raum als disziplinierte Subjektivität (Hecht 2009) her, die über das Schüler-Sein hinausweist, aber nicht unbegrenzt privat wird.

Konstruktionen von Leistungsdifferenz im Kontext Hausaufgabenbesprechungen.

Prof. Dr. Karin Bräu| Laura Fuhrmann (M. Ed.) | Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Praxeologische Unterrichtsforschung zeigt Leistung als Konstruktion, die erst durch die sozialen Praktiken und Zuschreibungen der Akteure im Unterricht erzeugt wird. Indem Schüler*innen durch diese Zuschreibungen beständig unterschiedlichen Leistungsniveaus zugeteilt werden, bildet Leistung eine sich stetig verfestigende Differenzordnung (Kalthoff 2000; Zaborowski, Meier & Breidenstein 2011; Gellert & Hümmer 2008; Bräu & Fuhrmann 2015).

Bekannt ist dabei, dass Leistungszuschreibungen maßgeblich von soziokultureller Ungleichheit der Schüler*innen beeinflusst werden (Kaufmann & Wach 2010). Dabei spielen Hausaufgaben als Bindeglied zwischen Schule und häuslichem Kontext eine besondere Rolle, da die Bearbeitung der Aufgaben aus dem Unterricht ausgelagert ist und eine Beteiligung von Eltern oder anderen Betreuungspersonen ermöglicht. Durch die Reintegration in den Unterricht werden Hausaufgaben übergangslos in die schulische Leistungssituation überführt, so dass soziale Ungleichheit in besonders direkter Weise in den Unterricht transferiert werden kann.

Vor diesem Hintergrund möchten wir ein Forschungsprojekt vorstellen, in dem die Praktiken der Leistungskonstruktion, die diesbezüglichen Zuschreibungen und Adressierungen sowie die Verknüpfungen von Leistungs- und anderen Differenzordnungen im Zusammenhang mit Hausaufgabensituationen im Unterricht ethnografisch untersucht werden. Durch die beobachtbaren Mikroprozesse sozialer Praktiken kann zudem implizites Wissen der Akteure rekonstruiert werden (Breidenstein u.a. 2013). Bei dem vorgestellten Datenmaterial handelt es sich um Ausschnitte aus einer ersten Feldphase.

Practices of Care in Primary Schools.

Prof. Dr. Christina Huf | Universität Bremen | Prof. Dr. Birgit Althans | Leuphana Universität Lüneburg

Recent reforms in the German educational systembring in "care" as an important concept into primary schools. While the aspect of care is traditionally attributed to the pedagogy of the "Kindergarten",German primary schools are increasingly considered to develop into "caring communities". One of the main impulses stems from the development of primary schools into inclusive schools. The authors of this paper wish to explore how care is practiced in an inclusive classroom and how it produces new social, generational, gender and peercultural orders. Drawing on theories of 'Care' which emphasise that Care produces hierarchies and dependencies, the authors engage in ethnographic researchfield research, which explores how the practices of caring for each other bring new categories of difference into the classroom. Methodologically, the researchers explore possibilities of doing shared field research. Achnowledging the importance of reflecting the ethnographer´s practices of doing field research, we wish to understand how we respond differently to the children´s and their teachers´practices and how our shared perspectives increase our responsivity towards the field.

Our observations indicate that one of the school´s strategies of coming up to the expectation of 'Care' is to bring in a number of adults from diverse professional backgrounds into the classroom. The increase of adults present in the classroom changes the social structure of the classroom in manifold ways. First of all,the practice of teaching becomes dyadic. While all adults develop practices of interacting with the individual child, the children develop practices of involving adults into their learning: They tend to create pair relations with adults as potential teachers to improve their individual "output" in class. Secondly, the adult´s interaction with the children is organised differently.As a result of varied vocational trainings and education they take different positions while working with the children, which establish hierarchies between them. Last, but not least, the children develop practices of bringing their peers back into their learning activities. These paper will elaborate these findings.

Die Verwobenheit von Prozessen pädagogischer mit sozialer Ordnungsbildung und ihre Ungleichheitsrelevanz. Das Potential einer ethnografischen Längsschnittstudie.

Dr. Claudia Machold| Jennifer Carnin (Dipl.-Päd.)| Lara Pötzschke (M.A.) | Universität Bielefeld

In den letzten Jahren konnte sich neben der mittlerweile etablierten quantitativ orientierten Bildungsforschung eine ethnografische Bildungsforschung etablieren, die "die Black Box Schule auf ganz unterschiedliche Weise geöffnet und das Selbstverständliche zum Gegenstand der Forschung erhoben" (98) hat, so Kalthoff (2013)1. So konnte eine Grundlage für eine "andere empirische Bildungsforschung" (ebd., Herv. i. Original) gelegt werden, die nicht quantifiziert, sondern theoretisch expliziert (vgl. ebd.) und somit nicht die Ergebnisse von Bildungsungleichheit, sondern die Prozesse ihrer Entstehung in den Blick nimmt (Diehm et al. 2013)2. Auch das Forschungsprojekt "Ethnische Heterogenität und die Genese von Ungleichheit in Bildungseinrichtungen der (frühen) Kindheit"3 ordnet sich dieser ethnografischen Bildungsforschung zu und beansprucht Erkenntnisse über die Genese von Ungleichheit zu generieren. Im Vortrag werden ausgehend von empirischem Material Ergebnisse dazu präsentiert, wie pädagogische mit ethnizitätsrelevanten Ordnungsbildungsprozessen verwoben sind und wie diese als ungleichheitsrelevant plausibilisiert werden können. Diskutiert wird dabei insbesondere das Potential einer längsschnittlichen Ethnografie. Sie ermöglicht es, die Aufschichtung von organisationsspezifischen, pädagogischen Unterscheidungspraktiken in individuellen Bildungsverläufen zu re-konstruieren. Im Vortrag kommen so zwei Möglichkeiten in den Blick, die Ungleichheitsrelevanz von Praktiken zu begründen: zum einen über die Perspektive auf Ordnungsbildungsprozesse, in denen bspw. die generationale, aber auch die ethnische Ordnung re-produziert wird und zum anderen über die Aufschichtung von Praktiken und ihre Relevanz für den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen (hier: Zugang zu Bildung).

1 Kalthoff, H. (2014): Ethnographische Bildungsforschung Revisited. In: A. Tervooren et. al. (Eds.), Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern. Pp. 97-116. Bielefeld: transcript.

2 Diehm, I., Kuhn, M., & Machold, C. (2013c): Ethnomethodologie und Ungleichheit? Methodologische Herausforderungen einer ethnographischen Differenzforschung. In: J. Budde (Ed.), Unscharfe Einsätze: (Re)Produktion von Heterogenität im schulischen Feld. Pp. 29-51. Wiesbaden:VS Verlag.

3 Es handelt sich dabei um ein Teilprojekt des von der DFG an der Universität Bielefeld geförderten SFB 882 "Von Heterogenitäten zu Ungleichheiten". Geleitet wird das Projekt seit 2011 von Prof. Isabell Diehm und im Abschlussjahr von Dr. Claudia Machold (2015-2016).

Peers make a difference? - Zur Eigenlogik von peerkulturellen Differenzpraktiken beim kooperativen Lernen.

Torsten Eckermann (M.A.)| Universität Kassel

"Teachers make a difference!" - dieser Ausspruch, welcher erstmalig von Good et al. (1975) formuliert wurde, hat offensichtlich im Kontext des erziehungswissenschaftlichen Diskurses breite Resonanz gefunden. Mit Blick auf eine Reihe an empirischen Studien lässt sich konstatieren, dass die Lehrkraft eine prominente Rolle einnimmt und sich das Unterrichtsgeschehen vornehmlich um die Praktiken von Lehrerinnen und Lehrern herum zentriert. Einen weitgehend 'blinden' Fleck stellen hingegen die Klassifikationen und Differenzpraktiken dar, die sich auf der 'Hinterbühne' unter den Schülerinnen und Schülern bzw. ihren Peers vollziehen.

Daran anknüpfend soll im Vortrag unter einer praxeologischen Forschungsoptik dem "doing/undoing differences" unter Grundschulkindern und ihren Peers nachgegangen werden. Gefragt wird dabei, wie soziale Differenzen "gebraucht, übergangen und abgebaut" (Hirschauer 2014: 170) werden. Entfaltet wird die These, dass aufgrund der relativen Autonomie (Bourdieu/Passeron 1971) der Institution Schule nur insofern an diese sozialen Unterschiede angeknüpft wird, als sie im schulischen Innenleben und somit unter den Bedingungen der Peer-Kultur spezifische Effekte zeitigen, indem die Unterschiedlichkeit von Kindern dann auch "pädagogisch relevant" (Luhmann 2002) wird. Zur exemplarischen Illustration dieser und weiterer Überlegungen werden mikroethnographische Beobachtungen zu Peer-Interaktionen beim kooperativen Lernen herangezogen.

Zu den "Phänomenologien" sozialer Praktiken.

Ass. Prof. Dr. Anja Kraus | Linnaeus University Växjö

Nach der sog. "Alltagswende" in den Sozialwissenschaften (vgl. Böhme 2004: 136f.) wird Kultur nicht mehr primär von Kulturgütern, -techniken, -träger-innen und bestehenden kulturellen Ordnungen, sondern vom Alltagswissen und -handeln der diversen Akteure im Feld her bestimmt. Es wird davon ausgegangen, dass die kulturellen Wissensbestände, an denen alltägliche Handlungserwartungen und -ketten orientiert sind, auf alltägliche Interaktionen zurückzuführen sind. Aus diesen emergierten sie, von diesen her differenzierten sie sich aus und verfestigten sich. Kultur wird dann verstanden als "[...] eine Vielfalt diskursiver Praktiken, die [...] nicht neutral, sondern intern hierarchisiert sind und ein komplexes Geflecht an bedeutungsproduzierenden Orten mit verschiedenen Zentren und Interessen bilden" (Oswald 1997: 62). Im Blickpunkt einer sich an diese Auslegung anschließenden sog. Praktikenforschung stehen die Teilnahme und die Teilhabe der Akteure an sozialen Praktiken und an deren bspw. kulturellen Rahmungen. Praktiken, so stellt Thomas Alkemeyer (2006: 121) heraus, übergreifen die Intentionalität(en) der einzelnen Akteure. Ein handelndes Individuum klinke sich in ein bestehendes Handlungsgeschehen gewissermaßen ein. Das Forschungsinteresse einer so verstandenen Praktikenforschung gilt der Frage, wie das Bezugsgewebe von Handeln in Praktiken zum Vorschein und ins Spiel kommt.

Dieser auch für die empirische Erziehungswissenschaft hochrelevante Forschungsansatz lässt sich vor dem Hintergrund der leibphänomenologischen Theoriebildung weiter ausarbeiten. In dieser spielt die Sozialität des Menschen eine zentrale Rolle bei der Konstitution von Selbst, anderen und Welt. Zugleich wird eine solche Konstitution an körperlich vermittelte Prozesse geknüpft. Kultur wird in der Folge als "formierte Leiblichkeit" und zugleich "als Formierung des Leibes" (vgl. Schultheis 1998) ausgelegt. Es wird davon ausgegangen, dass diese Formierungen in unserem Handeln nur teilweise sichtbar werden.

Gegenstand meiner Präsentation ist die nähere Erläuterung der leibphänomenologischen Konzeption des Verhältnisses von Leiblichkeit und Sozialität in Hinblick auf eine leibphänomenologisch fundierte Praktikenforschung in theoretischer Hinsicht, sowie ein Vorschlag zu deren Weiterentwicklung auf der Grundlage der Anlage einer empirischen Studie.

Soziale Differenzierung im mediatisierten Unterricht als Prozess der Subjektivierung. Beobachtungen aus der Lehrerbildung im Bereich Tanz.

Prof. Dr. Martin Stern | Daniel Rode (wiss. Mit.)| Phillips-Universität Marburg

Praxeologische Analysen von pädagogischen Feldern weisen auf der Gegenstandsebene derzeit noch zwei Desiderate auf, die der Beitrag bearbeiten möchte: die Untersuchung universitärer Unterrichtssettings (Lehrerbildung) und die Fokussierung neuer Unterrichtsentwicklungen - konkret: der zunehmende Einsatz technischer Unterrichtsmedien.

Der Beitrag rekurriert auf empirische Beobachtungen im Rahmen eines Forschungsprojekts, welches in der Lehramtsausbildung im Bereich "Gestalten, Tanzen, Darstellen" Konstellationen von Mediengebrauch und Unterrichtsgeschehen praxeologisch erforscht. Konkret geht es dabei um die Anfertigung von Videoprotokollen (sog. "Videopodcasts") durch die Lernenden. Das Untersuchungsfeld aus dem Bereich Tanz/Sport zeigt sich dabei in besonderer Weise geeignet, um die Körperlichkeit (Boudieu 1987) der Prozesse sozialer Ordnungsbildung und Differenzierung herauszuarbeiten, die mit dem spezifischen Charakter dieses "mediatisierten" Unterrichts einhergehen.

In der Analyse empirischer Beispiele kann gezeigt werden, dass Tanzunterricht eine Vielzahl dynamischer Prozesse wechselnder und interdependenter Differenzierungen aufweist, die erst durch die Gebrauchsweisen von Kamera und Videoschnittprogramm (a) besonders betont und bestätigt werden (Lehrkraft und Studierende) und (b) erst mit dem Mediengebrauch hervorgebracht werden ("Videopodcaster"; gefilmte und nicht gefilmte Studierende). Die im Mediengebrauch (mit)konstituierte Differenzierung der Unterrichtsgemeinschaft in verschiedene soziale Positionen wird sichtbar als der Vollzug wechselseitiger (körperlicher, gestischer, verbal-sprachlicher) Abstimmungen, Anerkennungen, Zurückweisungen, Ein- und Ausschließungen. Besondere Relevanz gewinnt die praxeologische Analyse dieser Prozesse dadurch, dass sich diese als Subjektivierungsprozesse diskutieren (Alkemeyer et al 2013; Brümmer 2015) und als eine für dieses pädagogische Setting spezifische Arbeit am Selbst (Stern 2010) der angehenden Lehrkräfte beschreiben lassen.

"Structures of Feelings." Emotionen und Affekte in der Hauptschule.

Dr. Stefan Wellgraf | Europa-Universität Viadrina (Frankfurt O.)

Nachdem ich in meinem Buch "Hauptschüler. Zur gesellschaftlichen Produktion von Verachtung" die alltäglichen Entstehungsprozesse sozialer Stigmatisierung herausgearbeitet habe, möchte nun meine daran anschließende aktuelle Forschung zur emotionalen/affektiven Wahrnehmung und Verarbeitung von Exklusion/Ungleichheit im Schulkontext vorstellen. Es handelt sich um eine DFG- geförderte, von Werner Schiffauer und Andreas Reckwitz betreute, praxistheoretisch angeleitete Ethnografie einer ehemaligen Hauptschule in Berlin-Neukölln, deren Feldforschungsphase mittlerweile abgeschlossen ist und sich nun in der Phase der Verschriftlichung befindet.

Exklusion wird von den Betroffenen selten abstrakt in Bezug auf Strukturen sozialer Ungleichheit wahrgenommen. Statt dessen dominieren indirekte und meist stark emotional gefärbte Wahrneh- mungsweisen wie Scham angesichts schlechter Schulnoten, Wut auf den Lehrer, Angst vor Hartz IV und Neid auf Bessergestellte. Hinzu kommen Langeweile aufgrund mangelnder Teilhabe, Sprachlosigkeit angesichts fehlender Artikulationsmöglichkeiten oder Coolness und Stolz als Möglichkeiten unangenehme Ausgrenzungserlebnisse zu überspielen. Diese komplexen emotionalen Prozesse lassen sich nicht nur auf Exklusionserfahrungen zurückführen, sie gewinnen aus dieser Sichtweise aber einen spezifischen sozialen Sinn. Meine ethnografisch-praxistheoretische Perspektive fokussiert sich auf diese emotionale und affektive Dimension von Exklusion und fragt nach deren gesellschaftlicher und kultureller Bedingtheit, nach ihren körperlichen/sinnlichen und dinglich/materiellen Qualitäten sowie nach den situativen und kontextuellen Entstehungszusammenhängen.

Die Verbindung von emotionalen Praktiken mit gesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsstrukturen ist vor allem deshalb eine besondere praxistheoretische Herausforderung, da eine bis heute wirksame philosophische Denktradition Emotionen eher als individualpsychologische Ausdrucksform oder als natürliche Grundausstattung statt als gesellschaftliche Phänomene oder als kulturelle Kategorien begreift. Raymond Williams weist dagegen mit seinem Konzept der "structures of feelings" auf die soziale Strukturierung von Gefühlen hin. Zugleich warnt er davor, kulturelle Aktivitäten vor- schnell als abgeschlossene Produkte zu begreifen, sie in fixe semantische Formen zu überführen oder sie lediglich als eine Reflexion sozialstruktureller Entwicklungen zu begreifen.

Methodisch stellt sich zudem die Frage, wie die detaillierten Beschreibungen von einzelnen Gefühlslagen zusammengeführt und dabei Bezüge zu Strukturen der Ungleichheit hergestellt werden können. Wie entwickle ich aus dem gewonnenen Material zu Emotionen übergreifende Hypothesen in Bezug auf "structures of feelings"? Dies soll unter Anwendung und praxistheoretischen Weiterentwicklung des Konzeptes der Situation geschehen. Situationsbetrachtungen bieten sich als ein analytischer Zwischenschritt an, da sie unterhalb von abstrakteren Begriffen wie Norm, Identität oder Rolle einen methodischen Zugang zu Emotionspraktiken eröffnen, bei der deren Prozessualität und Situativität ebenso wie deren Strukturierung und Regelmäßigkeit im Blick behalten werden kann. Indem Soziallagen mit Mikroprozessen in Verbindung gebracht werden, können für Hauptschüler typische Situationen mit jeweils spezifischen körperlich-emotionalen Reaktionsweisen herausgearbeitet werden. Die Schilderung von einzelnen Emotionen mittels Situationsbeschreibungen ist demnach nicht nur besonders anschaulich, sie gewinnt auf diese Weise auch eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung. Gleichzeitig öffnet sich dadurch eine Perspektive für eher problemlösungsorientierte Ansätze, da die Vermeidung von bestimmten Situationen oder der bessere Umgang miteinander in unvermeidlichen Situationen eher zu bewerkstelligen scheint als grundlegende gesellschaftliche Veränderungen.

Die Arbeit mit der Lernsituation. Praktiken der Einweisung in pädagogisch-professionelle Differenzkonstruktionen.

Dr. Petra Jung | Universität Koblenz Landau

Differenzkonstruktionen sind Grundoperationen kultureller Praxis, so auch der von Erziehungs- und Bildungsinstitutionen. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Frage, mit welchen pädagogischen Differenzkonstruktionen die soziale Praxis in Tageseinrichtungen für Kinder zu lenken versucht wird bzw. welche Rolle diese bei der Hervorbringung der Erziehungs- und Bildungswirklichkeit spielen. Der Blick soll dabei auf die Berufsgruppe der Erzieher und Erzieherinnen gerichtet werden, die einer Einschätzung von Rauschenbach (2013) zufolge - mittel- bis langfristig betrachtet - das Personal des Kindergartens stellen wird. Dies rückt die Praktiken der Ausbildung in den Vordergrund, in denen spezifische Wahrnehmungs- und Differenzierungsschemata verstetigt werden, die das pädagogische Feld miterzeugen. Gegenstand meiner Analyse ist nun ein Element der bundesweit eingeführten lernfeldorientierten Didaktik: die Arbeit mit der sog. Lernsituation. Durch Lernsituationen sollen Lernfelder (wie z.B. Wahrnehmung/Beobachten, Arbeit mit Eltern, etc.) für die Unterrichtsarbeit erschlossen werden. Es handelt sich dabei um kurze und episodisch gehaltene Schilderungen von möglichen Situationen im beruflichen Handlungsfeld, in denen das sog. professionelle Wissen und Können von Fachkräften herausgefordert wird. Erklärtes Ziel der Lernfelddidaktik ist, fachtheoretisches Wissen in Anwendungszusammenhänge zu überführen.

Während die Lernsituation innerhalb der Lernfelddidaktik als Abbild sozialer Wirklichkeit gilt und mit ihr intendiert wird, Erzieher und Erzieherinnen in pädagogisch-professionelles Handeln einzuweisen, werde ich zu zeigen versuchen, wie die Arbeit mit der Lernsituation die in einem Text dargestellten Teilinformationen in ein spezifisches sprachliches Vollzugsgeschehen überführt und damit in eine diskursive Ordnung gebracht wird. Werden dabei in einem ersten Schritt die Prozeduren der beruflichen Anerkennung (Unterricht, Praxisbesuche, Prüfungen) analysiert, so wird in einem zweiten Schritt untersucht, welche Rolle das artefaktisch erzeugte Wissen im Vollzugsgeschehen von Tageseinrichtungen für Kinder spielt.

Differenzkonstruktion im Zuge der Prozessierung von Ausbildungsreife im Unterricht schulischer Berufsvorbereitung.

Prof. Dr. Marc Thielen | Grete Schläger (Dipl.)| Lisa Bücker (M.A.) | Universität Bremen

Berufsvorbereitende Bildungsgänge an beruflichen Schulen, die zum sogenannten Übergangssystem subsumiert und für ausbildungslose Jugendliche mit und ohne Schulabschluss vorgehalten werden, zielen auf die Herstellung von 'Ausbildungsreife' und den Übergang in die vollqualifizierende Berufsausbildung. Männliche Jugendliche und solche aus unteren sozialen Milieus und mit Migrationsmerkmalen sind in den Maßnahmen überrepräsentiert. Während mangelnde 'Ausbildungsreife' lange vornehmlich am schulischen Leistungsniveau festgemacht wurde, rückt gegenwärtig wieder verstärkt das Arbeits- und Sozialverhalten der Jugendlichen in den Fokus. Der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife formuliert im Ausbildungssystem vermeintlich generell vorausgesetzte Verhaltensstandards unter der Überschrift "psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit". Die dem Beitrag zugrundeliegende praxeologische Untersuchung analysiert mittels eines ethnographischen Designs, wie im Unterricht der Berufsvorbereitung auf das Arbeits- und Sozialverhalten der teilnehmenden Jugendlichen eingewirkt wird und welche Differenzkonstruktionen in den institutionellen Routinen sichtbar werden. Im Vortrag wird dies am Beispiel 'guter Umgangsformen' konkretisiert. Anhand der Analyse von Beobachtungsprotokollen wird aufgezeigt, dass Praktiken im Unterricht, die das pädagogische Ziel verfolgen, Jugendliche zur Höflichkeit zur erziehen, implizit auch auf soziale Unterscheidungen rekurrieren, sind die in den Praktiken zum Ausdruck kommenden Verhaltensstandards - anders wie es das biologische Konzept der 'Reife' suggeriert -, keineswegs universell, sondern insbesondere auch von sozialer Milieuzugehörigkeit und Herkunft abhängig.

Herstellung von Differenz im und durch berufsorientierenden Unterricht - Dynamisierung der Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen?

Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland | Tatjana Beer (wiss. Mit.)| Barbara Scholand (M.A.)| Universität Hamburg

Die Praxis schulischer Berufsorientierung (BO) ist unter der Perspektive der Herstellung von (Gender)Differenzen bislang wenig untersucht. Unser Beitrag fokussiert anhand von Unterrichtsbeobachtungen aus dem berufsorientierenden Unterricht im 8. Jahrgang an zwei Hamburger Stadtteilschulen, wie Schüler_innen Berufe nahe gebracht bzw. wie sie von Berufen fern gehalten werden. Ein zentrales Ergebnis ist, dass das Handeln der Lehrkräfte - ihre "Arbeit an der unteren Grenze" bezogen auf das Prestige und die Anforderungen von Berufen - die hohen Bildungsaspirationen der Schüler_innen, die wir anhand einer standardisierten Befragung erhoben haben, konterkariert. Über eine qualitative Mehrebenen-Analyse lässt sich zum einen zeigen, wie über auf BO bezogene Steuerungspraktiken seitens Politik, Behörden und Schulverwaltung Differenz(ierung)en und damit ungleiche berufliche Chancen institutionell etabliert werden; zum anderen lässt sich nachweisen, dass in der (Unterrichts-)Praxis die Umsetzung behördlicher Vorgaben ein schwer steuerbares Eigenleben entfaltet: Im Prozess des Unterrichtens bricht sich das Unerwartete und Chaotische Bahn, Konzepte gehen nicht auf, Strukturen brechen zusammen. Unsere These ist, dass die Konfrontation der schulischen Ordnungspraxis mit der außerschulischen Wirklichkeit beruflicher Ordnungen Lehrkräfte wie Schüler_innen an ihre Grenzen bringt. Anders gesagt: Der offensichtliche, d.h. nicht mehr zu zurückzuweisende Einbruch gesellschaftlicher Verhältnisse in die schulische soziale Lebenswelt dynamisiert die Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler_innen. Wir möchten uns in unserem Beitrag der Frage nähern, welcher unterliegenden Logik das berufsorientierende Geschehen folgt und was daraus im Hinblick auf eine "Theorie der Praxis des berufsorientierenden Unterrichts" geschlossen werden könnte.

"Was ist denn hier der pädagogische Gegenstand?" - Empirische Differenzlinien der Konstitution beruflicher Handlungsaufträge in Teamsitzungen.

Prof. Dr. Peter Cloos | Frauke Gerstenberg (M.A.)| Isabell Krähnert (wiss. Mit.)| Stiftung Universität Hildesheim

Das Forschungsprojekt "Fallarbeit und Fallperspektiven. Eine komparative Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden kindheitspädagogischer Handlungsfelder" verfolgt die Fragestellung ob und inwiefern sich Konturen eines "Kindheitspädagogischen Handlungsfeldes" über Praktiken der Vermittlung und Aneignung von beruflichen Handlungsaufträgen in Teamgesprächen empirisch nachzeichnen lassen und, ob damit von einer "Kindheitspädagogik" die Rede sein kann: Gefragt wird nach den Differenzen in der Gemeinsamkeit, die dem Begriff der "Kindheitspädagogik" ein empirisches Fundament geben. Realisiert wird die Bearbeitung dieser Fragestellung über die Analyse von Audioaufnahmen von Teamgesprächen unterschiedlicher kindheitspädagogischer Institutionen. In unserem Vortrag fragen wir danach, welche empirischen Differenzlinien zur Konstitution des pädagogischen Gegenstandes und zum Anschluss beruflicher Handlungsaufträge relevant gemacht werden. Dabei loten wir die Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Erziehungs- und Bildungswirklichkeiten und von Differenzordnungen aus einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive aus. Ebenso zeigen wir auf, wie im Sinne der Dokumentarischen Methode die in Teamsitzungen verwendeten Materialien (z.B. Beobachtungsbögen) mittels Assoziationen sequenzanalytisch erschlossen werden können.

Krankschreibung als leistungsbezogene Differenzherstellung im inklusiven Unterricht.

Prof. Dr. Petra Herzmann | Thorsten Merl (M.A.)| Universität zu Köln

Im Unterricht inklusiver Klassen ist zu beobachten, dass bestimmte Schüler*innen wiederholt von unterrichtlichen Anforderungen befreit werden, beispielsweise in Form von individuell verordneten 5-Minuten-Pausen. Als Grundlage dieser Praktiken lässt sich eine lehrerseitige Differenzzuschreibung von Können/Nicht-Können in Bezug auf das Erfüllen unterrichtlicher Anforderungen rekonstruieren.

Diese Praktiken lassen sich in Verbindung bringen mit unterrichtsbezogenen Materialisierungen und Interviewäußerungen von Lehrpersonen: Artefakte, wie eine Übersicht im Lehrerzimmer, von zumeist Förderschüler*innen einer Klasse, in der stichpunktartig Bedarfe (z.B. "neigt zu impulsivem Verhalten", "braucht Hilfe bei Konfliktlösung") dargestellt werden, verknüpfen die unterrichtlichen Differenzpraktiken mit der situationsübergreifenden Zuschreibung eines sonderpädagogischen Förderbedarf (im Folgenden "spF"). In ethnographischen Interviews bezeichnen die Lehrkräfte den spF als eine "Krankschreibung", was ebenso auf einen Zusammenhang zwischen Befreiung von unterrichtlichen Anforderungen und der Inanspruchnahme der schulrechtlichen Kategorie des spF hinweist.

Rekonstruktionen des in der Sonderpädagogik geführten Lernbehinderungsdiskurses (vgl. Pfahl 2011), machen darüber hinaus deutlich, dass Behinderung mit der Zuschreibung "eingeschränkter Autonomie" (ebd.: 118) einhergeht, aus der eine reduzierte Lern- und Leistungsfähigkeit der Schüler*innen gefolgert wird. Nicht zuletzt wird mit der Bezugnahme unterrichtlicher Differenzpraktiken auf spF die Differenzkategorie Behinderung auch schulrechtlich in Anspruch genommen.

Anhand unseres Materials können wir nun zeigen, wie in unterrichtlichen Differenzpraktiken diese Reduzierung des Leistungs- und Anspruchsniveau lehrerseitig zur Aufführung kommt: isolierte Sitzplätze zur Reizreduktion, Outings von Behinderungen als Legitimation für Ungleichbehandlungen von Schüler*innen, Delegation an Medizin und Psychologie etc. Deutlich wird hier also, wie die schulstrukturelle Kategorie spF im Unterricht re-inszeniert wird. Dass es sich allerdings nicht nur um Schüler*innen mit spF handelt, sondern auch andere Schüler*innen situativen Praktiken der Handlungslogik der Krankschreibung und der Schonung unterliegen, verweist auf eine Bedeutungsverschiebung der schulrechtlichen Kategorie spF in der unterrichtlichen Praxis.

Praktiken der Positionierung von Eltern in Kindertagesstätten.

Prof. Dr. Christine Thon | Miriam Mai (Dipl.-Päd.)| Europa-Universität Flensburg

In einem ersten Schritt wird das Konzept der Positionierung als Verknüpfung von Diskurs und Subjekt entfaltet. Es ermöglicht zu theoretisieren, wie diskursive Differenzordnungen in Subjektivierungsprozessen wirksam werden.

In einem zweiten Schritt werden artikulatorische Praktiken von Fachkräften in Kindertagesstätten untersucht, durch die Eltern positioniert werden. Dies geschieht sowohl im Sprechen über Eltern als auch im Sprechen mit Eltern. Der Beitrag fokussiert einerseits auf Positionierungen, die entlang von Differenz- und Ungleichheitskategorien erfolgen. Andererseits werden Positionierungen in Bezug auf das Verhältnis von Fachkräften und Eltern in den Blick genommen. In der Rekonstruktion von Gruppendiskussionen mit Fachkräften und von Audiomitschnitten von Elterngesprächen lässt sich ein großes Spektrum an Varianten aufzeigen, in denen Eltern u.u. selbst zu Adressat_innen pädagogischer Interventionen werden.

Differenz und Einheit - strukturtheoretische Überlegungen zur Reichweite der Beobachtung von Differenz in der Praxis.

Prof. Dr. Merle Hummrich | Europa-Universität Flensburg

Die Frage nach dem Umgang mit Differenz in pädagogischen Handlungsfeldern hat erziehungswissenschaftlich nicht an Reiz verloren. Sie konfrontiert implizit zugleich die Fragesteller*innen mit ihren Vorstellung von Einheit, Gleichheit, Identität. Ziel dieses Beitrags ist es einerseits, die "besondere Stärke" des praxeologischen Blicks (und der damit einhergehenden Einheitskonstruktionen) zu befragen, indem ein befremdender Blick aus einer strukturtheoretischen Analyseperspektive formuliert wird. Andererseits sollen die Differenzkonstruktionen im schulischen Forschungsfeld exemplarisch in den Blick genommen und gefragt werden:

  1. Welche Gleichheitsvorstellungen werden im schulischen Handlungsraum zugrunde gelegt?

  2. Welche Bedeutung hat die Perspektive unterschiedlicher Forschender für die (Re-) Konstruktion von Differenz?

  3. Welche Grenzen sind der Beobachtung von Praxis eigen, die durch andere (differente) Verfahren bearbeitet werden können?

Abschließend soll aus strukturtheoretischer Perspektive über die sozial-produktiven Anteile der Konstruktionen von Einheit und Differenz nachgedacht werden.

Feldspezifische und feldübergreifende Praktiken - eine praxeologische Perspektive auf soziale Differenz.

Dr. Hilmar Schäfer | Europa-Universität Viadrina (Frankfurt O.)

Differenzen sind sozialen Praktiken in vielerlei Hinsicht eingeschrieben. Ziel des Beitrages ist es, die Existenz sozialer Differenz jenseits der in der Ungleichheitsforschung im Zentrum stehenden klassen- oder schichtsspezifischen Differenz in den Blick zu nehmen. Dabei soll das Potential von Pierre Bourdieus Arbeiten über das Konzept von Lebensstilen hinaus ent- faltet und stattdessen an seinem Begriff des sozialen Feldes angeschlossen werden.

Im ersten Teil des Beitrags wird das den Überlegungen zugrunde liegende Praxisverständnis dargestellt, in dessen Zentrum das Konzept der Wiederholung steht. Praktiken werden als gleichzeitig (1) wiederholte, d.h. von Subjekten performierte, (2) sich wiederholende, d.h. gesellschaftlich zirkulierende, sowie (3) wiederholbare, d.h. relativ stabile, aber gleichzeitig neu kontextualisierbare Formationen begriffen. Davon ausgehend werden graduelle Differenzen zwischen Praxiskomplexen betrachtet.

Im zweiten Teil des Beitrags werden die Konsequenzen dieser Perspektive erläutert. Soziale Ungleichheit besteht nicht allein auf der Ebene der Subjekte und ihrer Klassenzugehörigkeit (Habitus, Lebensstil), sondern bereits auf der Ebene der Verteilung zirkulierender Praktiken in sozialen Feldern. Wenn in Feldern, Bourdieu folgend, genuine Logiken herrschen, so müssen feldspezifische Praktiken (z.B. Rechtsprechen, Krankheit diagnostizieren, Gesetze erlas- sen) und feldübergreifende Praktiken (z.B. Klassifizieren, Darstellen, Bewerten) unterschie- den und deren Relationen betrachtet werden.

Steps to an Ecology of Practices - differences that make a difference.

Dr. Anders Buch | Aalborg University

Social practices are the producers of difference - not least within the educational sector.

Through the doings and sayings of educators, administrators, and students themselves differences are produced as to how students are envisioned, how interaction with students are performed, etc. In addition material arrangements and infrastructures sediment, channels, prefigure, facilitate or hampers the social practices in producing differences. Social practices and material arrangements are thus closely intertwined and crystalize into practice-arrangement-bundles that, in turn, form larger constellations that encompass more practices and larger arrays of material arrangements. The flat ontology of practice theory envisions the dynamics amongst social practices and between social practices and material arrangements as indeterminate, contingent relations that are malleable by actor's ends and projects, but also by physical and biological causation (e.g. Schatzki 2002). In understanding the production of difference in the educational sector practice theory claims that these subtle relational dynamics must be discerned.

Recently practice theoretical scholars have suggested adopting the metaphor of 'ecology' to highlight the interrelatedness and interdependencies in constellations of practices bundles and material arrangements (Kemmis et al. 2012, Kemmis et al. 2014). Here the notion of 'ecology' is unfolded in order to better understand the perseverance and inertia in educational practices and eventually suggest change strategies.

Building on this suggestion this paper critically examines the concept of 'ecology' to evaluate its merits for practice theory - mainly through the resources of Gregory Bateson's notion of a 'difference that makes a difference'. It further extends the discussion by reflecting on Joseph Rouse's naturalistic development of practice theory and his notion 'niche construction' (2014 and forthcoming).