Entwicklung formativer Schulleistungstests: „Mathes 5-6“

Lernverlaufsdiagnostik gilt als ein wesentliches Element bei der Überprüfung und Steigerung der Wirksamkeit von Unterricht und von Fördermaßnahmen (Hattie, Beywl & Zierer, 2018). Während in den USA bereits seit den 1970er Jahren intensiv an sog. curriculum-based measurements (CBM; u. a. Deno, 1985, 2003; Fuchs, 2004) als eine Methode der formativen Diagnostik geforscht wird, ist das wissenschaftliche Interesse an diesem Thema im deutschsprachigen Raum erst in der jüngeren Vergangenheit aufgekommen. Dementsprechend mangelt es derzeit noch in vielen Bereichen an Testverfahren, welche in der Lage sind, Leistungsentwicklungen zuverlässig wie auch sensibel über die Zeit zu erfassen (eine Übersicht verfügbarer formativ einsetzbarer diagnostischer Instrumente liefert Blumenthal [2022]).

Um einen guten Kompromiss zwischen dem Ziel einer sowohl präzisen als auch förderrelevanten und dem Ziel einer effizienten Diagnostik zu erreichen, wird in der Literatur eine Kombination verschiedener verlaufsdiagnostischer Methoden und Verfahren empfohlen: Als praktikabel im schulischen Setting haben sich bereits die oben erwähnten curriculumbasierten Messverfahren (CBM) sowie formative Schulleistungstests erwiesen. Erstere eignen sich eher, um die Entwicklung in Bezug auf kurzfristige Lernziele zu erfassen, letztere dienen der Messung der Erreichung längerfristiger Lernziele bzw. Leistungsstandards.

Curriculumbasierte Messverfahren (CBM)

CBM sind Serien von Aufgaben, sog. probes, zu umschriebenen, curricular zu vermittelnden Inhalten, welche innerhalb einer festgelegten Zeitvorgabe von nur wenigen Minuten bearbeitet werden (Hosp, Hosp & Howell, 2016). Zur Vermeidung von Erinnerungseffekten werden typischerweise sogenannte Paralleltests vorgelegt. Das bedeutet, dass zwar zu jedem Messzeitpunkt verschiedene Aufgaben bearbeitet werden, sich diese jedoch hinsichtlich der zu prüfenden Kompetenzen sowie hinsichtlich ihres Schwierigkeitsgrades gleichen (parallel sind). Die Anzahl korrekt gelöster Aufgaben wird ausgezählt, dokumentiert und ggf. grafisch aufbereitet. Je nach Fragestellung erfolgen die Messungen in der Regel monatlich bis wöchentlich. So wird eine Evaluation der aktuellen Unterrichts- und Fördermaßnahmen ermöglicht, woraus kurzfristige Anpassungen derselben abgeleitet werden können.
In der Vergangenheit waren Mitglieder der Abteilung an Forschungsprojekten beteiligt, in deren Rahmen CBM für die Bereiche Mathematik sowie Rechtschreiben erfolgreich entwickelt wurden (Sikora & Voß, 2017; Voß, Sikora & Mahlau, 2017; Blumenthal, Sikora & Mahlau, 2021). Zukünftig sollen im Rahmen des Diagnose- und Förderkonzepts "Mathe-Navi" weitere CBM für umschriebene Lernziele der Mathematik, bspw. zur Zahlzerlegung, zur Zehnerergänzung oder zur strukturierten Mengenerfassung, konzipiert werden.

Formative Schulleistungstests

Formative Schulleistungstests sollen das Kompetenzspektrum entsprechend den jeweiligen Leistungsstandards des Faches möglichst vollständig abdecken, sodass die Entwicklung der innerhalb eines längeren Zeitraums (z. B. ein Schuljahr) zu behandelnden Kompetenzen verfolgt werden kann. Die diagnostischen Aussagen beziehen sich insbesondere auf längerfristige Lernziele und zeigen entsprechend diesbezügliche Unterrichtsadaptionen an. Formative Schulleistungstests sind umfänglicher als CBM und werden in der Regel ohne Zeitbegrenzung durchgeführt. Daraus resultiert ein höherer Aufwand in Durchführung und Auswertung, weshalb eine Anwendung mit einer wesentlich geringeren Häufigkeit als bei CBM realistisch ist. Ein formativer Schulleistungstest sollte mindestens zweimal im Schuljahr (z. B. am Anfang und in der Mitte) zur Verlaufsdiagnostik genutzt werden können, günstig wäre ein drei- bis viermaliger Einsatz in einem Schuljahr (u. a. Diehl & Hartke, 2012).

Bilder Mathes-Testeihe
Bilder Mathes-Testeihe


Formative Schulleistungstests genügen testtheoretischen Gütekriterien und erfüllen dadurch für Lehrkräfte verschiedene Funktionen:

1.      Screeningfunktion: Auswahl von Schülerinnen und Schülern, die zusätzlicher Fördermaßnahmen bedürfen
2.      Benchmarkfunktion: Lernverlaufsdokumentation bei einzelnen Schülerinnen und Schülern sowie ganzen Klasse
3.      Förderplanung: gezieltes Aufdecken von Wissenslücken

Mit den Mathes-Tests (Sikora, 2017; Sikora & Hartke, 2020) wurde eine Reihe formativer Schulleistungstests für das Fach Mathematik für die gesamte Grundschulzeit konstruiert und evaluiert. Aktuell wird diese Reihe um Verfahren für die Klassenstufen fünf und sechs erweitert. Die Evaluation der psychometrischen Güte erfolgt im Zeitraum von Februar 2024 bis Februar 2026 in allen regionalen Schulen der Inseln Rügen und Hiddensee.

Alle bisher entwickelten Diagnoseverfahren sind kostenfrei unter eine Creative-Commons-Lizenz über www.lernlinie.de abrufbar.
Hier gelangen Sie zur Darstellung des Projektes in der Forschungsdatenbank der Europa-Universität Flensburg.

Literatur
  • Blumenthal, S. (2022). Lernverlaufsdiagnostik. In M. Gebhardt, D. Scheer & M. Schurig (Hrsg.), Handbuch der sonderpädagogischen Diagnostik. Grundlagen und Konzepte der Statusdiagnostik, Prozessdiagnostik und Förderplanung (S. 633‐648). Regensburg: Universitätsbibliothek. https://doi.org/10.5283/epub.53149
  • Blumenthal, S., Sikora, S. & Mahlau, K. (2021). Lernverlaufsdiagnostik im Rechtschreibunterricht der Grundschule. Konstruktion und Güte eines curriculumbasierten Messverfahrens. Diagnostica. https://doi.org/10.1026/0012-1924/a000261
  • Deno, S. L. (1985). Curriculum-based measurement: The emerging alternative. Exceptional Children, 52, 219-232.
  • Deno, S. L. (2003). Developments in Curriculum-based Measurement. Journal of Special Education, 37, 184-192.
  • Fuchs, L. S. (2004). The Past, Present, and Future of Curriculum-Based Measurement Research. School Psychology Review, 33, 188-192.
  • Diehl, K. & Hartke, B. (2012). Inventar zur Erfassung der Lesekompetenzen von Erstklässlern. IEL-1. Göttingen: Hogrefe.
  • Hattie, J., Beywl, W. & Zierer, K. (2018). Lernen sichtbar machen. 4., unveränderte Auflage. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren.
  • Hosp, M.K., Hosp, J.L. & Howell, K.W. (2016). The ABCs of CBM. A practical guide to curriculum-based measurement (2nd ed.). New York: Guilford Press.
  • Sikora, S. (2017). Lernverlaufsdiagnostik im Mathematikunterricht. Theoretische Grundlagen, Konzeption und Güte eines formativen Schulleistungstests für dritte Klassen. Hamburg: Dr. Kovač.
  • Sikora, S. & Hartke, B. (2020). Zur Konstruktion und Güte eines formativen Schulleistungstests für das Fach Mathematik in dritten Klassen. Diagnosticahttps://doi.org/10.1026/0012-1924/a000254.
  • Sikora, S. & Voß, S. (2017). Konzeption und Güte curriculumbasierter Messverfahren zur Erfassung der arithmetischen Leistungsentwicklung in den Klassenstufen 3 und 4. Empirische Sonderpädagogik, 3, 236-257.
  • Voß, S., Sikora, S. & Mahlau, K. (2017). Vorschlag zur Konzeption eines curriculumbasierten Messverfahrens zur Erfassung der Rechtschreibleistungen im Grundschulbereich. Empirische Sonderpädagogik, 2, 184-194.