Workshop in Leck: Präsentation und Diskussion der Forschungsergebnisse der ersten Projektphasen

30.01.2019

Laura Emma Marx

Die Ergebnisse der ersten Forschungsphasen wurden im Sitzungssaal des Lecker Rathauses vor verantwortlichen Vertreter*innen aus den Bereichen der Betreuung und Beratung von Geflüchteten, der schulischen und berufsorientierten Bildung und des lokalen zivilgesellschaftlichen Miteinanders, wie dem Ehrenamt, vorgestellt. Das Treffen diente dabei nicht nur der Präsentation, sondern war für die Teilnehmenden und das Projektteam insbesondere ein Ort des Austausches, was durch das Workshop-Format unterstützt wurde.

Zunächst begrüßte Herr Deidert, der Bürgermeister von Leck, alle Anwesenden und betonte, dass er das Treffen sehr gerne unterstütze und Leck als einen Ort ansehe, an dem Geflüchtete sehr gut aufgenommen werden würden. Ihn interessiere vor allem der Vergleich mit den dänischen Nachbarn und er hoffe, daraus Neues lernen zu können.

Projektleiter Prof. Dr. Holger Jahnke erklärte anschließend den Hintergrund des Treffens, der auch darin bestand, die Teilnehmenden mit ihren Erfahrungen aus der Praxis selbst als Korrektiv der ersten Ergebnisse anzusprechen. Anschließend stellte er die Struktur des Projektes vor: Der Ausgangspunkt sei die Frage danach gewesen, welchen Unterschied es für eine*n junge*n Geflüchtete*n mache, ob er oder sie nördlich oder südlich der deutsch-dänischen Grenze lande. Holger Jahnke erläuterte daraufhin die Vorgehensweise des Projektes: Die ersten beiden Phasen, in denen institutionelle Strukturen und Konzepte herausgearbeitet und verantwortliche Vertreter*innen aus Institutionen und Zivilgesellschaft interviewt wurden, sind abgeschlossen. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollten bei dem Treffen besprochen werden. Im nächsten Schritt des Forschungsprojekts werden dann Interviews mit jungen Geflüchteten folgen.

Anschließend begann Magdalena Jäger mit der Vorstellung der Ergebnisse aus dem deutschen Forschungsgebiet, dem Amt Südtondern. Der Staat übernimmt im deutschen föderalen System nur eine schwache Steuerung, weshalb innerhalb Deutschlands kein klares und abgestimmtes Integrationskonzept besteht. Stattdessen ist jeder Ort, und so auch die Gemeinde Leck, in ein Mehrebenensystem eingebettet. In diesem konkreten Fall besteht das Mehrebenensystem aus dem Bund, dem Land Schleswig-Holstein, dem Kreis Nordfriesland, dem Amt Südtondern und den entsprechenden Gemeinden. Jede Ebene ist dabei in die Steuerung von Integration involviert und verfolgt eigene Strategien. Zusammengefasst entsteht dadurch eine komplexe und oft undurchsichtige Situation für verantwortliche Mitarbeiter*innen in den Bereichen der sozialen Integration von Geflüchteten.

Insgesamt führt das Fehlen einer zentralen Steuerung dazu, dass es vor Ort viele unterschiedliche Einrichtungen und Träger gibt, die teils komplementär, teils konkurrierend zueinander auftreten. Dieses komplexe Zusammenspiel wird in der Arbeit fast aller Teilnehmenden des Workshops deutlich. Sie sind weitgehend abhängig von der eigenständigen Netzwerkarbeit und in vielen Bereichen mit vagen Aufgabenbeschreibungen und strukturellen Vorgaben konfrontiert, was dazu führt, dass oft eigenständig Lösungen gefunden werden müssen. Dabei wird ein hohes Maß an Eigeninitiative und Verantwortung gefordert. Externe Kontrollen finden dabei nur begrenzt und vor allem über Berichterstattungen statt.

Diese Zusammenfassung der Situation wurde durch die Anwesenden weitgehend bestätigt. Sie konnten sich in den Punkten gut wiederfinden. Angemerkt wurde, dass nicht unbedingt vage Aufgabenbeschreibungen die Arbeit erschweren würden, sondern vor allem überladene und praxisferne. Gleichzeitig wurde deutlich, dass es auch Arbeitsbereiche gibt, in denen klare Vorgaben und Regulierungen bestehen und Handlungsspielräume demnach eingeschränkter sind.

Magdalena Jäger konnte diese Anmerkungen durch weitere Thesen ergänzen: Die Handlungslogiken und Praktiken sind nicht nur abhängig von den jeweiligen Situationen der Geflüchteten, sondern auch personenabhängig von den Mitarbeiter*innen der jeweiligen Institution. Beispielweise spiele die persönliche Beziehungsarbeit in vielen Arbeitsbereichen eine große Rolle. Dies zeige sich unter anderem darin, dass in vielen der ausgewerteten Interviews ein hohes persönliches Engagement erkennbar ist, das teils über die institutionellen Aufgaben hinausgeht. Die Handlungsspielräume der Mitarbeiter*innen aus der Praxis sind – je nach Arbeitsbereich – groß, gehen gleichzeitig aber auch mit der Forderung zur Eigeninitiative einher. Insgesamt leitet sich daraus die Frage ab, was noch Auftrag sei und was schon darüberhinausgehendes Engagement.

Diese Annahme wurde durch die Anmerkung von Teilnehmenden unterstrichen, dass es schwierig sei, eine angemessene Haltung zwischen dem eigentlichen Auftrag, der Netzwerkarbeit und dem eigenen Engagement zu finden. Ergänzt wurde hierzu, dass institutionelle Akteur*innen in den vergangenen Jahren vielfach über Regularien hinausgegangen seien, um ihre Arbeit überhaupt bewältigen zu können.

Nachdem die Diskussion zwischen dem Projektteam und den Mitarbeiter*innen der unterschiedlichen Institutionen schon erfolgreich angelaufen war, diskutierten die Teilnehmenden in Kleingruppen die Frage: Was hat sich seit 2015 bezüglich Ihrer persönlichen und institutionellen Handlungslogiken, Praktiken und Handlungsspielräume entwickelt?

Die Ergebnisse aus den Gruppengesprächen wurden an einer Pinnwand festgehalten. Grundsätzlich stellten die Teilnehmenden übereinstimmend fest, dass sie in den vergangenen Jahren mutiger, kreativer, schneller und flexibler geworden seien, vor allem bei der Schaffung von Bildungszugängen. Die Gesetze hätten sich zwar nicht verändert, aber der Handlungsbedarf sei so groß gewesen, dass flexibler mit ihnen umgegangen worden sei. Dabei wurden auch allgemeine Haltungsänderungen festgestellt, die fortan bestehen blieben. Eingebracht wurde auch, dass das Vakuum fehlender gesetzlicher Regulierungen dazu führe, schnelle und flexible Lösungen zu finden und kurze oder mittelfristige Projekte zu entwickeln, innerhalb welcher ein großer Handlungsspielraum vorhanden sei. Gemeinsam konnte festgestellt werden, dass gerade im Bereich der schulischen Bildung die normativen Vorgaben realen Herausforderungen oft nicht gerecht werden.

Nach der Gesprächsrunde stellte Katja Holz die Ergebnisse aus der Tønder Kommune vor: Hier findet sich ein Mehrebenensystem mit deutlich weniger Ebenen wieder, die in den Prozess sozialer Integration eingebunden sind: Der dänische Staat übernimmt die Steuerung von Integration und gibt dabei ein eindeutiges Integrationsverständnis vor, das er samt klarer Aufgaben an die Kommune weiterreicht. Komplettiert wird dieses System durch regelmäßige Kontrollen, welche von Seiten der dänischen Interviewpartner*innen durchweg positiv bewertet wurden. Die Wettbewerbssituation unter den Bildungsanbietern führt zu einer ständigen Weiterentwicklung und qualitativ hohen Standards. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die interviewten dänischen Mitarbeiter*innen sich an einem kollektiven nationalen Integrationsverständnis orientieren und zugleich eine starke Professionalisierung zu beobachten ist. Diese führt unter anderem dazu, dass zwischen hauptamtlichem Auftrag und ehrenamtlichem Engagement klare Grenzen gezogen werden. Handlungsspielräume werden überwiegend im Bereich der konkreten Ausgestaltung der Angebote innerhalb des gesetzten Rahmens genutzt.

Die Teilnehmenden am Workshop in Leck waren weitgehend erstaunt über die auffälligen Unterschiede der beiden Systeme. Gleichzeitig wurde von Seiten der Teilnehmenden darauf hingewiesen, dass das dänische System von außen sehr stringent wirke, Handlungsspielräume aber durchaus bestehen und genutzt werden würden.

Aus der Diskussionsrunde ergab sich schließlich die Frage danach, welche Elemente sich die Teilnehmenden des Workshops für die Zukunft wünschen würden: Wo wollen Sie in 10 Jahren im Amt Südtondern stehen? – In einer Runde ohne das Projektteam wurde diese Frage ausgiebig diskutiert und die Ergebnisse auf einem Plakat festgehalten.

Inspiriert durch die Eindrücke des dänischen Systems wünschten sich die Anwesenden unter anderem eine stärkere Unterstützung durch die Verwaltung vor Ort. Darüber hinaus erhoffen sich alle Teilnehmenden, dass die gewachsene Kultur der Flexibilität, der Grenzüberschreitungen und der Kreativität erhalten bleibt.

Der Workshop, welcher den ganzen Nachmittag andauerte, zeigte zum einen, wie wichtig und fruchtbar ein Abgleich der wissenschaftlichen Ergebnisse mit den verantwortlichen Vertreter*innen aus den Bereichen Integration, Partizipation und Bildung junger Geflüchteter ist, um hier die Situation zu spiegeln und Diskussionen anzustoßen. Zum anderen wurde erneut deutlich, wie gering das Wissen vor Ort darüber ist, wie jenseits der Grenze mit Integration, Partizipation und Bildung von jungen Geflüchteten umgegangen wird. Gerade der Vergleich schärft den Blick auf die eigene Situation, wie durch die Reaktionen der Workshopteilnehmenden auf die Vorstellung des dänischen Systems sichtbar wurde.