Qualifizierung für den Normalfall Vielfalt: Mit Gitarre im Asylheim

Ein musikalischer Nachmittag mit Flüchtlingskindern auf dem Gelände der Unterkunft Graf-Zeppelin-Straße – gut gelaunte junge Leute haben Gitarre und Lieder mitgebracht und singen und klatschen mit und für Drei- bis Neunjährige aus dem Irak, aus Syrien, Armenien, Albanien oder dem Kosovo. Mal geht es um Essen, mal geht es um Kleidung – und nebenbei werden noch ein paar Possessivpronomen eingeschleust: Dein T-Shirt – mein T-Shirt. Für Julia Ricart Brede, Professorin für Deutsch als Fremdsprache, ist es gar nicht wichtig, ob die Vor- und Grundschulkinder jedes Wort des im Seminar vorbereiteten Unterrichts gelernt haben: "Wir wollen zukünftigen Lehrern ganz viele Spiele an die Hand geben, die sie nachher benutzen können", sagt Ricart Brede.

Die Idee zu diesem ungewöhnlichen Seminar hatte Gitarrendozent Jan Tenrich im vergangenen Jahr: "Die Studierende sind auf die Migrationsströme nicht vorbereitet", sagt er. Die meisten waren vorher noch nie in einer Flüchtlingsunterkunft.

Für die Studierenden der Musik-AG stimmt das nicht. Vor diesem Seminar sind sie ein Jahr lang jeden Mittwoch mit Instrumenten und Gesang in den Gemeinschaftsunterkünften Friedensweg und Zeppelin-Straße gewesen – bis zur Schließung im Frühjahr auch an der Exe.

Mathis Schwormstede studiert Musik an der Europa-Uni mit Hauptfach Gitarre. Zusammen mit Max Wichmann trägt er seine Kompositionen vor: "Lässig und so lose – in der neuen Hose". Dabei sind es wohl weniger die Worte, als das Gespür der Flüchtlingskinder, dass alle dieses kleine gemeinsame Erlebnis wollen.

Einige andere Lieder sind längst zum Ritual zwischen den jungen Leuten und den Kindern gewachsen: So wird aus Bruder Jakob plötzlich Schwester Jasmin und Bruder Ahmed – und dass manch ein Brüderchen im gestreiften Shirt und Ohrenschutz noch recht schüchtern ist, stört hier niemanden. Die extreme Heterogenität der Kindergruppen spiele in der Ausbildung bislang kaum eine Rolle, finden die Dozenten Tenrich und Ricart Brede.

Die Europa-Uni sieht sich bei der Ausbildung für heterogene Schülergruppen ganz vorn: "Wir haben Deutsch als Zweitsprache als verbindliches Modul in der Lehrerausbildung bereits vor vier Jahren eingeführt", sagt die Pressesprecherin der EUF, Kathrin Fischer.

An diesem Tag sind die Studierenden in der Überzahl, nachdem gerade zwei Familien mit mehreren Kindern aus der Unterkunft ausgezogen sind – diesmal sind es sechs Kinder zwischen drei und neun Jahren und 15 Studierende. Die Seminararbeit ist für die Studierenden positiv besetzt, Schwänzer gibt es nicht. Und Musik-Studentin Anja Sommerer sagt: "Dass die Kinder womöglich traumatisiert sind, war für uns nicht erkennbar."

– Quelle: www.shz.de/17237271 ©2017