Parasoziale Beziehungen

Seit einer Dekade gibt es das mobile Online-Dating und mit dem Einzug hat sich die Partnersuche verändert. Während die Vermittlerrolle nicht neu ist –einst waren es Institutionen wie die Kirche und Familie, heute ist es die Applikation– halten neue Normen und Prinzipien Einzug. Dazu zählen u.a. Parallelität, Verfügbarkeit, Beschleunigung und Vermarktungscharakter. Viele der etablierten Praktiken werden zwar von der Mehrheit der Nutzerinnen reproduziert, aber gleichzeitig als verletzend erlebt und mitunter wird konkludiert, dass mobiles Online-Dating Annäherung verhindert und Beziehungsfähigkeit vermindert...

Kurzübersicht

Stichworte
Social Media, parasoziale Beziehung, Technikpsychologie, Beziehungsforschung, Bindung
Laufzeit
01.03.2022 - laufend

Beschreibung

Hintergrund

Seit einer Dekade gibt es das mobile Online-Dating und mit dem Einzug hat sich die Partnersuche verändert. Während die Vermittlerrolle nicht neu ist –einst waren es Institutionen wie die Kirche und Familie, heute ist es die Applikation– halten neue Normen und Prinzipien Einzug. Dazu zählen u.a. Parallelität, Verfügbarkeit, Beschleunigung und Vermarktungscharakter. Viele der etablierten Praktiken werden zwar von der Mehrheit der Nutzerinnen reproduziert, aber gleichzeitig als verletzend erlebt und mitunter wird konkludiert, dass mobiles Online-Dating Annäherung verhindert und Beziehungsfähigkeit vermindert. In der Konsequenz wächst eine Gruppe von frustrierten Online-DaterInnen. Dem Selbstwert dienlich, werden die erlebten Enttäuschungen und ausbleibender Erfolg bei der stabilen Beziehungsanbahnung auf das unbekannte Gegenüber projiziert und "die Anderen" als Gruppe abgewertet. So erleben alt-bekannte Stereotype ein Revival.

Verletzt und mit skeptischer Haltung den anderen gegenüber, wenden sich Subjekte an Social Media und an die parasozialen Beziehungen zwischen Influencer, ihren Communitys und Followern. Über große Accounts, Reels und Hashtags wird die eigene Haltung in Echokammern validiert und polarisiert und so verfestigen sich abwertende Gruppendynamiken.

Aber auch in den etablierten Beziehungen spielen die parasozialen Beziehungen eine Rolle, und zwar dann, wenn dem Endgerät und den dort lokalisierten Beziehungen Aufmerksamkeit geschenkt wird. So entsteht eine kompetitive Situation zu analogen Kontakten und Beziehungen, sowohl in den romantischen als auch den familiären. Nach dem Sex rollen sich beide zur Seite und scrollen auf TikTok. Während des Stillens schauen wir aufs Handy und beim Date betreiben wir Phubbing - die Unterbrechung von Aufmerksamkeit und Gesprächsflow durch den Blick aufs mobile Endgerät.

Oft wird Handysucht proklamiert und gesunde Nutzung durch zeitliche Limitierung als Lösung vorgeschlagen. Erste explorative Forschung indiziert aber anderes - nämlich Bindung in der parasozialen Beziehung. Wir verfolgen unsere Influencer und gehen eine Beziehung ein; wir vermissen die digitalen Figuren, wenn sie offline sind, wir sind verletzt, wenn sie uns blockieren, wir sind wütend, wenn sich das Narrativ ändert und sie nicht mehr zu uns passen. Wir reagieren und agieren emotional, weil sie uns etwas bedeuten. Die parasoziale Beziehung ist dabei spezifisch und unmittelbar angenehm. Sie ist konfrontationsarm, in der Masse validierend und vorhersehbar liefert sie Behaglichkeit und Zugehörigkeit.

Forschung

Das Forschungsprojekt exploriert die Bedeutung von heutigen Beziehungen und Liebe, und die (möglicherweise beeinflussende) Bedeutung und Rolle von Parasozialität. Dies inkludiert Perspektiven auf Annäherungspraxen, zum Beispiel beim Online-Dating, die Qualität und Bedeutung von parasozialer Beziehung zwischen Influencer, deren Community und Followern, sowie die Auswirkungen von Parasozialität auf analoge Beziehungen, subjektive, wie gesellschaftliche Bedeutung und Gesundheit.

Diesem Gegenstand wird in folgenden Teilprojekten nachgegangen:

Parasocial Love?

Eine Mixed-Methods-Studie zu psychosozialen Mechanismen parasozialer Beziehungen zu Influencern in den sozialen Medien und deren Bedeutung für Subjekte & soziale Beziehungen.

Das Projekt ist eine Kooperation mit der MSH Hamburg und Prof. Dr. Sonja Bröning unter Mitarbeit von Diana Pistoll.

Eine parasoziale Beziehung ist definiert als eine Beziehung, in der eine Person das Gefühl hat, eine persönliche Verbindung zu einer anderen Person aufzubauen, obwohl sie sich niemals persönlich begegnet sind (Horton & Wohl, 1956). In der Vergangenheit wurden hierunter z.B. Effekte von Fanverhalten und Gefühlen gegenüber Idolen wie Rockstars oder Schauspieler:innen untersucht. Aktuell wächst das Interesse an der Bedeutung von parasozialen Mechanismen bei "Followern" von "Influencern" in den Sozialen Medien. Diese hat vor allem in der "Generation Z", aber auch darüber hinaus, eine starke Bedeutung erlangt. Die Folgen intensiver Mediennutzung für das psychische Wohlbefinden (wie Übergewicht, Binge Eating, Einsamkeit und die Vermutung von suchtähnlichem Verhalten) sind in Teilen bereits erforscht. Wenig bekannt ist bislang über die Bedeutung parasozialer Beziehungen aus der Subjektperspektive und die Auswirkungen auf die Alltagsgestaltung, die realen intimen und sozialen Beziehungen eines Individuums, auf seine Affektlage und deren Regulation.

Basierend auf den explorativen Vorarbeiten (Degen & Simpson, 2022; Degen, 2023) wird in diesem Projekt erforscht, welche Bedeutung die parasoziale Beziehung für Subjekte und deren Beziehungshandeln sowie Beziehungszufriedenheit und Stabilität hat und auf welchem Mechanismen die Effekte beruhen. Dazu zählt die Entwicklung der Scale of Parasocial Involvement, die Erhebung von Mikroprozessinterviews, das Führen von Interviews im Längsschnittdesign zur Beziehungsführung und Beziehungszufriedenheit, Interviewführung zur Bedeutung der Beziehung für das Selbstkonzept und das Erheben von Vulnerabilität in Zusammenhang mit der Ausprägung der parasozialen Bindung und Messungen von Arousal/körperlicher Erregung und Gehirnaktivitäten.

Bröning, S., & Wartberg, L. (2022). Attached to your smartphone? A dyadic perspective on perceived partner phubbing and attachment in long-term couple relationships. Computers in Human Behavior, 126, 106996

Degen, J.L. (2023). Rationalizing Fictional Cues: Psychological Effects of Disclosing Ads, and the Inaccuracy of the Human Mind when being in Parasocial Relationships. Informing Science Institute

Degen, J. L., & Simpson, S. (2022). Me, My Product and I: Selling Out on# Sustainability. In Nachhaltigkeit und Social Media: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der digitalen Welt (pp. 143-164). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden

Horton, D., & Richard Wohl, R. (1956). Mass Communication and Para-Social Interaction. Psychiatry, 19(3), 215–229.

Kleeberg-Niepage, A., & Degen, J. L. (2022). Between self-actualization and waste of time: young people’s evaluations of digital media time. In Children, Youth and Time (Vol. 30, pp. 29-47). Emerald Publishing Limited.

Projektleitung

Dr. Johanna L. Degen, johanna.degen-TextEinschliesslichBindestricheBitteEntfernen-@uni-flensburg.de

Prof. Dr. Sonja Bröning, sonja.broening-TextEinschliesslichBindestricheBitteEntfernen-@medicalschool-hamburg.de

Prof. Dr. Andrea Kleeberg-Niepage

Mitarbeit

Diana Pistoll

Parasozialität und die Bedeutung für Gesundheit und therapeutische Praxis

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort (Medical School Hamburg und Oberberg-Kliniken) wird im Kontext des klinischen Alltags die Bedeutung von parasozialen Beziehungen und Annäherungspraxen im Online-Dating, sowie resultierenden Gruppendynamiken und deren Auswirkungen auf die Gesundheit von Jugendlichen herausgearbeitet. Basierend auf den Ergebnissen der Forschung werden Implikationen für die beratende und therapeutische Praxis entwickelt und implementiert.

Degen, JL (2023). Bedeutung, Gefahren und Chancen von mobilem Online-Dating im Kontext von Partnersuche & Beziehungen für die therapeutische und beratende Praxis. In: Bröning (....) Kohlhammer (in Produktion)

Schulte-Markwort, M. (2022). Mutlose Mädchen. Ein neues Phänomen besser verstehen - Hilfe für die seelische Gesundheit unserer Töchter. Kösel

Projektleitung

Dr. Johanna L. Degen, johanna.degen-TextEinschliesslichBindestricheBitteEntfernen-@uni-flensburg.de

Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort, schulte-markwort@paidion.de

Verantwortlich