Analyse von Kinderzeichnungen

Kinderzeichnungen sind bereits seit der Entstehung in der Kinder- und Entwicklungspsychologie um den Beginn des 20. Jahrhunderts als Datenmaterial interessant. Damals erhoffte man sich einen Einblick in die Seele des Kindes oder auch Aufschlüsse über den Entwicklungsstand (z.B. die kognitive Entwicklung). Während man hierbei allgemeinen Aussage über die kindliche Entwicklung anstrebte, ging es bei der Verwendung von Kinderzeichnungen in klinisch-therapeutischen Settings immer um einen Zugang zum individuellen Kind. In letzteren Kontexten haben sich Zeichnungen bewährt, für allgemeingültigere Aussagen fehlte es lange an einem überzeugenden methodischen Vorgehen...

Kurzübersicht

Stichworte
Kinderzeichnungen, Kinder und Jugendliche, visuelle Daten, Forschungsmethoden, Zukunftsvorstellungen, Schlaraffenland, Eco Anxiety, COVID-19
Laufzeit
01.01.2015 - laufend
Institution der EUF
Abteilung Psychologie

Beschreibung

Kinderzeichnungen sind bereits seit der Entstehung in der Kinder- und Entwicklungspsychologie um den Beginn des 20. Jahrhunderts als Datenmaterial interessant. Damals erhoffte man sich einen Einblick in die Seele des Kindes oder auch Aufschlüsse über den Entwicklungsstand (z.B. die kognitive Entwicklung). Während man hierbei allgemeinen Aussage über die kindliche Entwicklung anstrebte, ging es bei der Verwendung von Kinderzeichnungen in klinisch-therapeutischen Settings immer um einen Zugang zum individuellen Kind. In letzteren Kontexten haben sich Zeichnungen bewährt, für allgemeingültigere Aussagen fehlte es lange an einem überzeugenden methodischen Vorgehen bei der Analyse der Zeichnungen, so dass sie in der wissenschaftlichen Forschung selten genutzt wurden. Mit dem so genannten visual turn in den Sozialwissenschaften, der stärkeren Akzeptanz qualitativer Methoden in der Entwicklungspsychologie und den Forderungen der interdisziplinären Kindheitsforschung nach einer Forschung mit Kindern anstatt über sie, rückten auch Kinderzeichnungen wieder in den Blick der Forschung. Valide methodische Instrumentarien wurden entwickelt bzw. auf die Analyse von Zeichnungen angepasst. Damit soll ein Zugang zum Selbst- und Weltverständnis von Kindern geschaffen werden, der Erwachsenen Einblicke in ihre Perspektive auf die Welt (soziale und gesellschaftliche Prozesse und Diskurse) und ihrer eigenen Positionierung (als Kinder) in ihrer jeweiligen Gesellschaft ermöglicht.

An der Abteilung Psychologie werden seit 2015 Kinderzeichnungen zu verschiedenen Themen erhoben und analysiert. Hierbei wird vorrangig die dokumentarische Bildinterpretation (Bohnsack et., 2015; Wopfner, 2012) eingesetzt und weiterentwickelt, zudem werden rekonstruktiv-serielle Analyseverfahren für Fotos (Mietzner & Pilarczyk, 2005) auf Kinderzeichnungen adaptiert. Zudem werden kulturvergleichende und historisch-vergleichende Analysen von Zeichnungen durchgeführt.

Folgende Arbeiten laufen aktuell:

  • Thema Zukunftsvorstellungen: Seit 2015 werden Zeichnungen zur Frage "Wie stellst du dir dein Leben als Erwachsener vor?" erhoben (vgl. auch Projekt Zukunftsvorstellungen). Nach den ersten Erhebungen in Deutschland und Ghana kamen im Laufe der Zeit Zeichnungen aus Schweden, Ungarn, Indonesien, Singapur und Marokko hinzu. Hierbei werden die Zusammenhänge zwischen den eigenen Vorstellungen der Kinder und den wahrgenommen gesellschaftlichen Erwartungen besonders deutlich und sowie der Umstand, dass Entwicklung als Schnittstelle zwischen individuellen und sozio-kulturellen Prozessen zu verstehen ist (Kleeberg-Niepage, 2016; Kleeberg-Niepage & Marx, 2021).
     
  • Thema Schlaraffenland: Im Rahmen einer Replikationsstudie wurden 2019 mehr als 200 Zeichnungen zum Thema Schlaraffenland erhoben und mit historischen Zeichnungen aus der Sammlung von William Stern im Jahr 1905 verglichen. Es wurde eine serielle Analyse durchgeführt, bei der sich einerseits deutliche Unterschiede in der Bewältigung der Aufgabe in Abhängigkeit von Alter der ZeichnerInnen zeigten und zum anderen Unterschiede zwischen den Sampeln Hinweise auf eine Veränderung von Kindheit, aber auch von Schule über die Zeit nahelegen (Kleeberg-Niepage & Degen, im Druck). Feinanalysen von Einzelbildern laufen gegenwärtig noch.
     
  • Thema Eco-Anxiety: Die Frage nach den persönlichen Zukunftsvorstellungen wurde mittlerweile auf die Frage den Vorstellungen zur Zukunft der Welt erweitert. Hierbei zeigen sich zum einen große Hoffnungen in eine friedliche und lebenswerte Welt und technologischen Fortschritt in der Zukunft und zum anderen erhebliche Sorgen und Ängste hinsichtlich Umweltzerstörung, Kriegen und Pandemien. Hierzu läuft gegenwärtig ein Forschungsseminar, zudem wird ein Teilsample schwedischer Kinderzeichnungen zur COVID-19 Pandemie (s.a. der nächste Abschnitt), das Umweltaspekte thematisiert seriell-rekonstruktiv ausgewertet.
     
  • Thema COVID-19: Im Frühjahr 2020 wurden vom schwedischen Archiv für Kinderkunst mehr als eintausend Zeichnungen von Kindern und Jugendlichen zu ihrer Sicht auf die Pandemie gesammelt. Gemeinsam mit schwedischen KollegInnen haben wir ein Teilsample der Jugendlichen (13-15 Jahre) seriell-rekonstruktiv ausgewertet, wobei die Ergebnisse auf eine schwerwiegende Erfahrung von Machtlosigkeit und Entfremdung hinweisen (Tishelman et al., 2022). Gegenwärtig werden zwei weitere (motivische) Teilsample altersübergreifend untersucht, zum Thema Death & Dying sowie zum Thema Eco-Anxiety (siehe vorheriger Abschnitt).

Publikationen

Kleeberg-Niepage, A. (2016). Zukunft zeichnen: Zur Analyse von Zeichnungen in der kulturvergleichenden Kindheits- und Jugendforschung. Sozialer Sinn, 17 (2). 197–232. https://doi.org/10.1515/sosi-2016-0008

Kleeberg-Niepage, A. & Marx, M.T. (2021). "Vom Haben und vom Machen". Wie deutsche und ghanaische Kinder ihre Zukunftsvorstellungen zeichnen. Sozialer Sinn, 22 (1). S. 143–184. DOI: https://doi.org/10.1515/sosi-2021-0007

Tishelman, C.; Degen, J.L.; Weiss Goitiandía; S.; Kleijberg, M. & Kleeberg-Niepage, A. (2022). A qualitative serial analysis of drawings by thirteen- to fifteen-year-old adolescents in Sweden about the first wave of the Covid-19 pandemic. Qualitative Health Research, 32(8-9) 1370–1385. https://doi.org/10.1177/10497323221101978

Kleeberg-Niepage, A. & Degen, J.L. (im Druck). Children’s Drawings as Data in Psychology: Replicating William Stern’s 1905 Study on the Land of Plenty. In: Tseliou, E.; Georgaca, E.; Gough, B. & Demuth, C. (Eds.). International Handbook of Innovative Qualitative Psychological Research. London: Routledge.

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