Marcel Sebastian: "Ambivalenzen der Arbeitssituation und Umgangsweisen von Schlachthofarbeitern"
Erstbetreuerin: Birgit Pfau-Effinger
Zweitbetreuer: Harald Welzer
Thematische Einordnung
Etwa 58 Mio. Schweine und 3,7 Mio. Rinder wurden 2012 im Rahmen gewerblicher Schlachtungen in Deutschen Schlachthöfen getötet (Statistisches Bundesamt 2013). In ca. 270 deutschen Schlachthöfen sind derzeit etwa 28.000 Menschen sozialversicherungspflichtig angestellt (1). Der Konsum von Fleisch ist trotz kontroverser und öffentlich breit getragener Debatten über das Mensch-Tier-Verhältnis weiterhin die "dominante kulinarische Kultur der Moderne" (Eder 1988: 239). Häufig wird jedoch angemerkt, dass Konsumenten von der Entstehung der Fleischprodukte, d.h. vor allem vor der Aufzucht und Tötung der Tiere isoliert seien, was die Neutralisation etwaiger Ambivalenzen im Umgang mit der Fleischproduktion begünstige. Schlachthofarbeiter hingegen erleben das Töten und Zerlegen von Tieren aus unmittelbarer Nähe und sind aktiv daran beteiligt.
Forschungsfragen
Das Promotionsprojekt befasst sich mit der Frage, wie Arbeiter in Schlachthöfen mit den Ambivalenzen ihrer Arbeit umgehen, wobei der Fokus auf dem Töten von Tieren liegt. Es sollen unterschiedliche Coping Strategien, also Umgangs-, Verarbeitungs-, und Neutralisationsweisen, im Zusammenhang mit dem Schlachten analysiert werden. In einem zweiten Schritt werden diese Ergebnisse auf Interdependenzen hin untersucht, indem überprüft wird, inwiefern sich die unterschiedlichen Coping Strategien gegenseitig verstärken, abschwächen und ablösen oder gleichzeitig angewandt werden können. In einem dritten Schritt sollen dann Faktoren analysiert werden, die die spezifischen Konstellationen der Coping Strategien beeinflussen, so z.B. das Produktionssystem (industrielle Fließbandarbeit im Großbetrieb oder handwerksorientierte Arbeit im Kleinunternehmen), Stellung des Arbeiters im Arbeitsprozess oder Sozialisationserfahrungen in Bezug auf das Schlachten von Tieren.
State of the Art
In der internationalen sozialwissenschaftlichen Diskussion ist die Arbeit in Schlachthöfen bisher kaum thematisiert worden. Die Studien, die hierzu vorgelegt wurden, befassen sich dabei in der Regel nicht mit der Mensch-Tier-Beziehung sondern untersuchen etwa arbeitsrechtliche Probleme und Gesundheitsrisiken in der Fleischbranche sowie die Auswirkung von Schlachthofneubauten auf kleinstädtische Entwicklungen (u.a. Stull/Broadway 2004; Fitzgerald et al 2009). Diejenigen Arbeiten, die das Mensch-Tier-Verhältnis in den Mittelpunkt rücken, befassen sich nicht oder nur peripher mit Coping Strategien im Umgang mit der Tötung von Tieren, nehmen diese mithin nicht systematisch in den Fokus (Wilkie 2005, 2010; Pachirat 2011; Cudworth 2011; Hamilton/Taylor 2013). Vor allem im englischsprachigen Raum existieren einige Studien über Coping Strategien im Kontext anderer Arbeitsbereiche, etwa Tierversuche (Brike/Arluke/Michaels 2007; Herzog 2002) oder bei der Wilderei (Elison/Dodder 1999). Jedoch können diese Ergebnisse nicht unmittelbar auf die Schlachtung von Tieren angewandt werden, da berücksichtigt werden muss, dass im Schlachthof völlig andere soziale, personale und kulturelle Rahmungen vorherrschen, die die Schlachthofarbeit einzigartig machen. Auch Arbeiten aus der Gewalt- und Täterforschung im Kontext innermenschlicher Gewalttaten (z.B. Welzer 2009; Bandura 1999) können nur bedingt auf das Thema des Promotionsprojektes übertragen werden, da sich hinsichtlich der Coping Strategien zwar deutliche Parallelen vorfinden lassen, aber kritisch geprüft werden muss, inwiefern eine Übertragung vom einen auf das anderen Anwendungsfeld empirisch zulässig ist. Einige Beiträge unterstützen dabei die These, das gängige Neutralisations- und Coping Strategien auf die Mensch-Tier-Beziehung übertragbar sind (Agnew 1998; Vollum et al 2004). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der bisherige Forschungsstand keinerlei gesicherte Erkenntnisse im Hinblick auf die Forschungsfragen des Promotionsprojektes liefert und eine offenkundige Forschungslücke existiert.
Theoretischer Rahmen
Auf Grund der mangelhaften, bisherigen Forschungen zum Thema erhält das Promotionsvorhaben deutlich den Charakter soziologischer Grundlagenforschung. Es existieren keine systematischen Ansätze zu Coping Strategien im Umgang mit der Tötung von Tieren. Vielmehr kann angenommen werden, dass das Promotionsprojekt hierfür einen wichtigen Beitrag liefern wird. Als theoretischer Rahmen fungieren daher unterschiedliche soziologische Perspektiven und Teildisziplinen, die relevante Aspekte des Promotionsvorhabens diskutieren. Hier zu zählen
- die Arbeitssoziologie und ihre Analyse der Spezifika unterschiedlicher Produktionsweisen sowie die neueren Ansätze zur Subjektivierung der Arbeit
- die Gewalt- und Täterforschung und ihre Beiträge zu Coping Strategien im Kontext innermenschlicher Gewalt, hierunter fallen auch einige kriminologische und sozialpsychologische Ansätze
- die Emotionssoziologie und ihre Beiträge zur sozialen Produktion von Gefühls- und Erlebenswelten
- Die Agrarsoziologie und ihre Beiträge zu den Besonderheiten landwirtschaftlicher Arbeit mit Tieren sowie zur Fleischproduktion
- Die Ansätze zur Ambivalenz der Mensch-Tier-Beziehung in den Human-Animal Studies