Schlussbericht EHSS I online verfügbar
Der Schlussbericht der ersten Projektphase des transdisziplinären Forschungsprojekts Entwicklungschancen und -hemmnisse einer suffizienzorientierten Stadtentwicklung (EHSS) zwischen der Stadt Flensburg und der Europa-Universität Flensburg mit der Laufzeit 01.11.2017 – 31.01.2021 ist online!
Wie ist eine sozial gerechte und nachhaltige Stadtentwicklung ohne Wachstum möglich? Diese Frage leitete das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben "Entwicklungschancen und Hemmnisse einer suffizienzorientierten Stadtentwicklung", das vom Norbert Elias Center (NEC) der Europa-Universität Flensburg und der Stadt Flensburg zwischen 2017 und 2021 durchgeführt wurde.
Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Leitinitiative Zukunftsstadt gefördert. Stadt und NEC untersuchten gemeinsam, wie Nachhaltigkeitsziele auf kommunaler Ebene durch eine Politik der Suffizienz erreicht werden können, also dadurch, dass die Einwohnerinnen und Einwohner weniger Ressourcen verbrauchen, indem sie ihre sozialen Praktiken (Wohnen, Ernährung, Mobilität etc.) verändern. Das bedeutet: Im Mittelpunkt stand die politisch heikle Frage, wie Kommunalpolitik das Wohlergehen ihrer Einwohnerinnen und Einwohner ermöglichen kann, ohne dafür immer weiter auf Wachstum setzen zu müssen. In einer ebenfalls vom BMBF geförderten zweijährigen Umsetzungsphase wird EHSS fortgesetzt. Die Entwicklung des neuen Quartiers Hafen-Ost wird weiterhin von einer transdisziplinären Arbeitsgruppe bestehend aus Mitarbeiter*innen der Europa-Universität Flensburg und der Stadt Flensburg mit wissenschaftlichem und Praxiswissen begleitet.
Der Schlussbericht gibt Auskunft über die Ergebnisse der ersten Förderphase.
Suffizienz ist neben Effizienz und Konsistenz eine von drei Nachhaltigkeitsstrategien. Suffizienz bedeutet, den Verbrauch von Natur und Ressourcen nicht durch die technische Optimierung von Produkten und Produktionsprozessen zu senken, sondern durch Nutzungs- oder soziale Innovationen. Suffizienzpolitik wiederum meint, durch politische Intervention – dies umfasst sowohl neue Regelungen, Fördermaßnahmen, Gesetze und Ordnungen als auch die Veränderung von Infrastrukturen – ein ressourcenschonendes und zugleich erfüllendes Leben zu ermöglichen.
Gegenwärtig wird in der Nachhaltigkeitspolitik vorrangig auf Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen gesetzt. Beispiele dafür sind etwa die Förderung von Elektromobilität, die energetische Sanierung von Gebäuden oder von smart city Konzepten. Die Suffizienz hingegen spielt als Nachhaltigkeitsstrategie in der (kommunalen) politischen Praxis eine randständige Rolle. Ziel des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens war es dementsprechend, mehr wissenschaftliches und praxisrelevantes Wissen über Möglichkeiten und Hemmnisse kommunaler Suffizienzpolitik zu generieren.
Das Forschungsdesign umfasste drei Arbeitspakete. In Arbeitspaket 1 wurden literaturbasiert die sozialen, kulturellen, ökono- mischen, fiskalischen und rechtlichen Barrieren für Suffizienzpolitik auf kommunaler Ebene identifiziert. Gezeigt werden konnte, dass in all diesen Dimensionen Wachstumsorientierung und Steigerungslogik gesellschaftlich tief verankert sind.
Der qualitative Vergleich verschiedener Beispiele suffizienzorientierter Stadtentwicklungsprojekte in 12 Kommunen in Arbeitspaket 2 konnte darlegen, wie es in Kommunen dennoch gelingt, Suffizienzmaßnahmen umzusetzen und mit welchen Schwierigkeiten dies einhergeht. Drei wesentliche Elemente suffizienzpolitischen Handelns konnten identifiziert werden: Alle Maßnahmen beinhalten die Deprivilegierung ressourcenintensiver Alltagspraktiken und Konsummuster und zugleich die Umverteilung des Zugangs zu städtischen Räumen und Ressourcen. Dies führt in der Regel im Prozess der Umsetzung der Maßnahmen zu, mitunter erheblichen, Konflikten, in denen sich die Beharrungskräfte der gegenwärtig dominanten strukturell nicht nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweisen zeigen.
Suffizienzpolitische Maßnahmen erfordern von lokaler Politik und Verwaltung ein agiles Vorgehen, denn Blaupausen, das heißt eingeübte Verfahren oder erprobte Vorgehensweisen sind meist nicht vorhanden. Das bringt zusätzliche Herausforderungen für Politik und Verwaltung mit sich, denn neue Verfahren zu entwickeln ist zunächst ressourcen- und personalintensiv. Schließlich war ein Reallabor Gegenstand des Arbeitspakets 3. Dieses umfasste die Begleitung der Entwicklung eines neuen urbanen Quartiers in Flensburg. Das Gebiet Hafen-Ost soll in den nächsten Jahren unter Suffizienzgesichtspunkten entwickelt und gebaut werden. Der Rat der Stadt Flensburg hat dazu auf der Basis eines umfangreichen, durch das Projekt EHSS mitinitiierten Beteiligungsprozesses, suffizienzpolitische Leitlinien verabschiedet.