Laptop und Zeitung
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Offizielle Pressemitteilungen der Europa-Universität Flensburg (EUF)

Objekte des Verstehens

Wissenschaftliche Tagung an der Europa-Universität Flensburg untersuchte die zentrale Rolle von Instrumenten, Darstellungen und Modellen im Unterricht

Wissenschaftlicher Unterricht in Schule und Hochschule ist unlösbar mit Dingen verbunden. Dennoch ist das Wissen über die Entstehung und Nutzung von Lehrmitteln ausgesprochen dünn. Obwohl die Geschichte der wissenschaftlichen Bildung in den letzten Jahrzehnten von der Peripherie in den Mittelpunkt der Wissenschaftsgeschichte gerückt ist, ist die zentrale Rolle von Instrumenten, Darstellungen und Modellen im historischen und zeitgenössischen Unterricht noch immer wenig erforscht.

Leerstelle stellt ernsthaften Mangel dar

"Diese Leerstelle stellt einen ernsthaften Mangel dar", erklärt Peter Heering, Professor für Physik und ihre Didaktik und Vizepräsident für Forschung und Transfer an der Europa-Universität Flensburg. Gemeinsam mit Roland Wittje, Professor für die Geschichte von Wissenschaft und Technik am Indian Institute of Technology Madras, hat er die fünftägige internationale Tagung "Objects of Understanding" an der Europa-Universität Flensburg (EUF) organisiert, bei der Wissenschaftler*innen aus verschiedenen natur-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen sich mit Instrumenten im Unterricht beschäftigt haben.

 "Die Erforschung wissenschaftlicher Instrumente bietet grundlegende Einblicke in die vergangenen und gegenwärtigen Prozesse, wie Wissen verstanden, erzeugt und weitergegeben wird. Damit vertieft die Beschäftigung mit den ‚Objects of Understanding‘ unser Verständnis wissenschaftlicher Methoden und Praktiken. Wie bedeutsam dieses Verständnis für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist, haben wir in der Pandemie erlebt", betont Heering.

Ethnographische Analyse eines zeitgenössischen Experimentierkoffers

Den Eröffnungsvortrag hielt der Siegener Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sachunterricht Jochen Lange. Er konzentrierte sich auf zeitgenössische Objekte des Verstehens. Entlang der ethnographischen Analyse des Entwicklungsprozesses eines Experimentierkastens zum Thema Licht veranschaulichte er, dass objekthafte Lehrmittel – anders als lange angenommen – keineswegs neutrale Dinge sind, sondern "Mischobjekte". Sie sind damit Objekte, in denen sich verschiedene Interessen, Vorstellungen, Annahmen und Zwänge einschreiben wie bsp. Materialeigenschaften, physikalisches Wissen, Wissenschaftskonzepte, ökonomische Kalkulationen, Szenarien der Schulpraxis, antizipierte Bedürfnisse von Lehrkräften und Schüler*innen, neue Lehrplanvorgaben, didaktische Ziele und Intentionen.

Anfänge der Experimentalphysik und eine völlig neue Lehrmethodik

Anhand von Instrumenten und Archivdokumenten schaute Sofia Talas von der Universität Padua auf die Anfänge der Experimentalphysik. 1738 wurde der italienische Astronom und Mathematiker Giovanni Poleni an der Universität von Padua gemeinsam mit Persönlichkeiten wie Pieter van Musschenbroek und Willem 's Gravesande einer der ersten Professoren für Experimentalphysik in Europa. Zum ersten Mal basierte der naturwissenschaftliche Unterricht wesentlich auf Beobachtungen und Vorführungen, und die neuen Professoren mussten eine völlig neue Lehrmethodik entwickeln.

Ein Klassifizierungsplan für Objekte

Der renommierte US-amerikanische Wissenschaftsdidaktiker, William McComas, Parks Professor of Science Education der University of Arkansas, war fasziniert von der Vielfalt der Objekte, die bei der Konferenz vorgestellt wurden: Teleskope, Karten, Grafiken, Tabellen, physikalische Instrumente, Bilder von Instrumenten, Zeichnungen, Dias, Diagramme, Modelle, Wachsmoulagen  etc. "Diese verschiedenen Objekte können alle für wissenschaftlichen Unterrichtszwecke benutzt werden", erklärte McComas in seinem Abschlussvortrag. "Dabei ist offensichtlich, dass diese Objekte sehr unterschiedlich sind und auf ganz unterschiedliche Weise ausgestellt werden. Einige befinden sich in Museumssammlungen, andere in Lehrsammlungen, einige haben historische Bedeutung, andere sind ganz gewöhnlich. Viele dieser ganz unterschiedlichen Objekte haben im Unterrichtskontext ihre eigenen Vorteile und Herausforderungen. Daher schlage ich vor, eine Art Klassifizierungsplan für diese Objekte zu erstellen, um so die Grundlage gemeinsamer Analyse zu schaffen."

Fragen der Materialität, der Performanz und der Bildung

Peter Heering zog eine positive Bilanz: "Zum einen ist deutlich geworden, dass reale Konferenzen mit realem Austausch eine ganz andere Qualität haben als die digitalen Konferenzen der letzten zwei Jahre. Zum zweiten sind wir um einiges weitergekommen in der Frage, welche Rolle materielle Objekte in Bildungsprozessen spielen und was wir aus Objekten, die historisch in Bildungsprozessen verwendet worden sind, über die Intention der damaligen Bildungsprozesse verstehen können. Ein zentraler Aspekt dabei ist die kulturelle Einbettung der Objekte in den wechselseitigen Prozess von Forschung und Lehre – und zwar sowohl im Hinblick auf schulische Allgemeinbildung als auch im Hinblick auf spezifische Ausbildung etwa in Hochschule oder beruflicher Bildung. In dieser Forschung werden entsprechend Fragen der Materialität, der Performanz und der Bildung zusammengeführt."

Die fünftägige Konferenz "Objects of Understanding" wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem "Zentrum für Bildungs-, Unterrichts-, Schul- und Sozialisationsforschung" (ZeBUSS) der EUF gefördert.