Laptop und Zeitung
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Offizielle Pressemitteilungen der Europa-Universität Flensburg (EUF)

„Das Schweizer Taschenmesser der Minderheiten“

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Tan Caglar eröffnet Flensburger Inklusionstagung

Wie kann ästhetische Praxis inklusiv wirken? Mit dieser Frage beschäftigte sich eine zweitägige Tagung an der Flensburger Europa-Universität Flensburg. Unter dem Titel: "Irgendwie …gleich - Erprobung sozialer inklusiver Interaktionen durch ästhetische Praxis" waren Menschen mit und ohne Behinderung - Studierende, Lehrerinnen und Lehrer, Integrationshelferinnen und -helfer, Dozierende und andere Interessierte - eingeladen, in Workshops über verschiedene Aspekte sozialer inklusiver Interaktion durch ästhetische Praxis zu diskutieren. Die Tagung wurde organisiert von Kirsten Diehl, Professorin für Inklusion und pädagogische Entwicklungsförderung am Institut für Sonderpädagogik, Dr. Markus Herrschbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Kunst und Visuelle Medien am Institut für ästhetisch-kulturelle Bildung, und Norbert Schütz, Professor für ästhetische Bildung in der Abteilung Textil und Mode am Institut für ästhetisch-kulturelle Bildung.

"Wenn ich jetzt noch transsexuelle wäre..."

Eröffnet wurden die zwei Tage durch einen Auftritt des türkischstämmiger Comedian im Rollstuhl, Tan Caglar. "Ich bin sozusagen das Schweizer Messer der Minderheiten", sagte er zur Begrüßung: "Der Quoten-Türke und der Quoten-Behinderte in einer Person. Wenn ich jetzt noch transsexuell wäre…"

Der 36-Jährige nahm mit entspannter Nachsichtigkeit und präzisen Pointen Probleme der Inklusion aufs Korn. Vorurteile gegen und Unsicherheiten im Umgang mit Rollstuhlfahrer und –fahrerinnen waren dabei ebenso Thema wie Unbehagen gegenüber vermeintlichen Machos mit Migrationshintergrund. "Was meint Ihr, was passiert, wenn ich mit diesem Bart, diesen Haaren, meiner Proleten-Uhr und meinem BMW auf einem Behindertenparkplatz parke?", fragte er und imitierte die missbilligenden Mienen politisch korrekter Mitmenschen, die sich in peinliche Überraschung wandelten, wenn aus diesem BMW tatsächlich ein Behinderter aussteige.

Die Begegnung mit einer Frau in der Burka als produktive Frage

In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Expertinnen und Experten unter der Moderation des Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Jan-Martin Wiarda über Chancen, Risiken, Hemmnisse und Notwendigkeiten inklusiver Praxis. Die Eingangsfrage "Was denken Sie, wenn Sie einer Frau in Burka begegnen" erwies sich als produktiv für das Thema, nachdem Leo Komischke-Konnerup vom dänischen University College Syd seine persönlichen Gefühle beschrieben hatte:" Ich wundere mich offensiv. Vielleicht empfinde ich auch Unbehagen. Es ergeben sich immer Fragen, wenn Leute anders sind als wir. Wenn wir uns nicht trauen, darüber zu reden, dass wir auch politisch unkorrekte Gefühle haben, dass wir uns über Menschen ärgern, die anders sind als wir, dann wird das sehr schwierig für inklusive Praktiken."

Politisch gefährlich: Die Kopplung von Differenz und Hierarchie

Um komplexe Realität zu vereinfachen, dächten Menschen in Schubladen, betonte Moderator Wiarda, was Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange so übersetzte: "Es gibt ein anderes Wort für Schublade: Erfahrung. Wir alle denken in Erfahrungen. Das ist okay, wenn die Gegenwart die Erfahrung überschreiben darf, wenn wir neugierig bleiben und die Neugierde größer ist als die gemachte Erfahrung."

Das Denken in Kategorien werde problematisch, wenn es sich mit Herrschaft verbände, betonte Jürgen Budde, Professor für Erziehungswissenschaften und Vizepräsident für Forschung an der EUF. "In der Kopplung von Differenz und Hierarchie liegt die politische Gefahr."

Geschenkter Empathie-Unterricht

Diesem Denken in Kategorien könne verantwortungsvolle pädagogische Praxis begegnen, sagte Christian Quvang, ebenfalls vom University College Syd. Denn sie orientierte sich am sozialen Miteinander und nicht an Standardisierung und Wettbewerb. Tan Caglar brachte das so auf den Punkt: "Ein Rollstuhlfahrer in einer Schulklasse ist geschenkter Empathie-Unterricht."

In Workshops befassten sich die Teilnehmenden im Anschluss mit praktischen Fragen inklusiver ästhetischer Praxis.