Aktuelle Forschungsprojekte

Sichtbarmachung historischer Mehrsprachigkeit in regionalen Alltagssprachen: Sprachideologie, Sprachpolitik und Sprachpraktiken

Visibilizing Normative Regional Historical Multilingualism (ViNoRHM): Ideology, Policy, and Practice

Das ViNoRHM-Projekt kombiniert Fallstudien auf Mikroebene zu Sprachideologie, -politik und -praxis unter Verwendung von Primärtexten aus offiziellen Aufzeichnungen und bisher wenig untersuchten Archivalien, um zu einer Darstellung der Machtdynamiken zu gelangen, die möglichst kohärenter und innovativer ist, als dies bisher versucht wurde.

 ViNoRHM setzt einen neuen Standard für Sprachgeschichtsschreibungen durch die drei Dimensionen dieses Projekts: Sprachideologie, Sprachpolitik und Sprachpraktiken. Indem die Sprachpraktiken von Einzelpersonen und Gemeinschaften die Grundlage von ViNoRHM bilden, werden sowohl zuvor unsichtbare oder unsichtbar gemachte Sprachen als auch Einzelpersonen (insbesondere Frauen und Un-/weniger Gebildete) in den Vordergrund gerückt.

Mitarbeiter: Andre Hermann (2023- )

Modernes Nordfriesisch – Eine Untersuchung zur Diskrepanz zwischen Sprachnorm und Sprachgebrauch

Ein häufig diskutiertes Thema in der Minderheitensprachenlinguistik sind Auswirkungen des Sprachkontakts mit der Mehrheitssprache. Dieser Kontakt wirkt sich, vor allem in der Minderheitensprache, zumeist durch eine Veränderung des Sprachsystems aus. Neuere Sprachkontakterscheinungen finden allerdings selten Eingang in kodifizierende Sprachbeschreibungen, da eine Normabweichung in den meisten Fällen negativ bewertet wird. Aus diesem Grund erwecken sprachliche Merkmale und Konstruktionen, die nicht im Kodex zu finden sind, den Anschein, nicht im Sprachgebrauch vorhanden zu sein, obwohl diese dort zum Teil schon fest etabliert sind.

Ziel der Dissertation von Meike Ohlsen ist es, die Diskrepanz zwischen dem, was im nordfriesischen Kodex als Norm dargestellt wird, und dem, was sich im sprachlichen Gebrauch tatsächlich belegen lässt, aufzuzeigen. Dazu werden aktuelle Sprachdachten des Nordfriesischen aus rund 50 Interviews erhoben. Außerdem wird diskutiert, wie Sprachkontaktphänomene von unterschiedlichen Interessengruppen wahrgenommen werden und welche Auswirkungen dies auf den Sprachgebrauch haben kann. Ein solcher Korpus stellt darüber hinaus aktuelle Sprachdaten für linguistische Beschreibungen des Nordfriesischen bereit, die bisher fehlten.

Historische Mehrsprachigkeit im 19. Jh. – das Ranzelberger Gästebuch

Das Gästebuch aus dem legendären Ochsenwegkrug "Petersburg", der einst zwischen Husum und Tondern auf dem Ranzelberg im heutigen Langenberger Forst lag, befindet sich seit 2018 im Archiv des Nordfriisk Instituuts (NFI) in Bredstedt. In einem Kooperationsprojekt mit der EUF, das durch die Stiftung für die Friesische Volksgruppe im Lande Schleswig-Holstein (Friesenstiftung/Friisk Stifting) gefördert wird, wird das Dokument jetzt wissenschaftlich transkribiert, unterstützt durch Forschungsgelder der Stiftung für die Friesische Volksgruppe im Lande Schleswig-Holstein (Friesenstiftung). Leiterin des Projekts ist Dr. Samantha Litty.

Zu Weihnachten 1834 hatten einige Seminaristen des Tonderner Lehrerseminars dem Wirt Peter Matthiesen das Gästebuch geschenkt. Generationen von Seminaristen, die sich selbst "Burschen" nannten – obwohl sie in Wahrheit keiner Burschenschaft angehörten –, verewigten sich in den darauffolgen Jahrzehnten in dem Buch und geben so auch heute noch Einblicke in ihr "Burschen"-Dasein von damals. Ob auf dem Weg zur Prüfung oder in die Ferien, ob heiter oder betrübt – oft bereicherten sie ihren Einträgen mit Liedern, Reimpaaren, Zitaten oder Trinksprüchen. Auch andere Durchreisende trugen sich in das Gästebuch ein. Oft handelte es sich dabei um Seeleute oder Viehhändler. Deren Eintragungen wurden von den Seminaristen nicht selten durchgestrichen, verbessert oder mit spitzer Feder kommentiert.

Bis 1888 kamen so mehr als 400 Seiten zusammen. Neben Einträgen auf Deutsch finden sich auch solche auf Dänisch und Friesisch, sowie lateinische, französische und niederdeutsche Einwürfe. Ziel des Projekts ist die Herausgabe einer wissenschaftlichen Textedition, die das Gästebuch in seinen historischen Entstehungszeitraum einbettet.

MitarbeiterInnen: Anna Sophie Blaue (2021-2022), Jan Momme Penning (2021- ), Ilka Thomsen (2021- )

Rekonstruktion historischer sozialer Netzwerke

Dr. Samantha Litty forscht zur multilingualen historisch-soziolinguistischen Lage der deutsch-dänischen Grenzregion. Ihre aktuelle Forschung bezieht sich auf die Rekonstruktion sozialer Netzwerke einzelner Schreiber*innen im amerikanischen Mittleren Westen und Norddeutschland aus persönlichen, familiären Briefen des 19. Jahrhunderts. Die Daten aus lokalen Archiven (Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig, Grundhof Kirchspiel Archiv, Wisconsin Historical Society & Archives), historischen Vereinen (Lomira Historical Society, Old Franklin Township Historical Society) und persönlichen Sammlungen (Reedsburg) werden zudem auf historisch-soziolinguistische Faktoren – Gesellschaftsstruktur, Sprachdomänen, Alter, Bildung, persönliche sprachliche Geschichte – und sprachliche Elemente der Schreiber*innen hin analysiert. Das Forschungsprojekt möchte die Verbreitung der einzelnen Netzwerke und das Zusammenspiel der sprachlichen Elemente in zwei- und mehrsprachigen Regionen und mögliche Auswirkungen des Inputs mehrerer Sprachvarietäten zeigen sowie die sprachwissenschaftliche Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden.

Soziale Medien und der Gebrauch des Nordfriesischen

Das Dissertationsprojekt von Hauke Heyen befasst sich mit nordfriesischer Sprache in digitaler Kommunikation in Diensten wie WhatsApp, Facebook und Twitter. Die allgegenwärtige Verfügbarkeit dieser Dienste erlaubt nicht nur eine ortsunabhängige Kommunikation untereinander, sondern liefert auch eine große Datenbasis der gegenwärtigen Alltagssprache, überwiegend in verschriftlichter Form. Ein Ziel dieses Projekts ist die Erstellung eines Korpus, mit dem gegenwärtiger Sprachgebrauch von Nordfriesischsprechenden in alltäglicher Kommunikation abseits von lektorierten Texten untersucht werden kann. Zudem soll analysiert werden, wie die Sprecher*innen mit Hindernissen in der digitalen Kommunikation umgehen, die oft vor allem kleine und regionale Sprachen betreffen. Neben der offensichtlichen eingeschränkten Reichweite sind das oftmals eine fehlende oder eingeschränkte Schreibtradition, die mit konzeptionellen (Besetzung der Domäne Schriftlichkeit durch eine andere Sprache, orthografischer Normdruck) sowie technischen (fehlende Unterstützung diakritischer Zeichen, fehlende Unterstützung von automatischer Korrektursoftware bzw. fehlerhafte Korrekturen) Herausforderungen einhergeht. 

Friesischsprechende Studienteilnehmer:innen gesucht: Bitte hier klicken.

Sprachwechsel und Mehrsprachigkeit in Friedrichstadt

Noch Nordfriesland, aber eigentlich auch ein bisschen Holland. 1621 gründeten niederländische Flüchtlinge Friedrichstadt an der Eider. Jan Niklas Heinrich erforscht in seinem Dissertationsprojekt die Sprachgeschichte dieses kleinen Städtchens von den niederländischen Anfängen im 17. Jahrhundert bis zur hochdeutschen Moderne. Welche Sprachen wurden wann und in welchem Bereich verwendet? Sind gegenseitige Einflüsse erkennbar? Welche Faktoren haben den Spracherhalt gefördert oder zum Sprachwechsel bewegt? Dazu werden Dokumente wie Briefe, Tagebücher, Protokolle und Berichte aus und über Friedrichstadt gesucht, eingeordnet und analysiert. Die Untersuchungen werden gefördert durch ein Stipendium des Landes Schleswig-Holstein.

Minderheitensprachen und Identität in der Diaspora

Wie entwickelt sich eine Minderheitensprache in der Diaspora? Mit dieser Kernfrage beschäftigt sich der Doktorant Robert Kleih. In seiner Dissertation untersucht er, wie sich die nordfriesische Sprache und Kultur in den USA bis heute bewahrt und entwickelt hat. Zwischen den 1840er Jahren und 1966 wanderten mehrere tausend Nordfriesen (allen voran Föhrer und Amrumer) nach Amerika aus und suchten ihr Glück in der Neuen Welt. Dabei waren die Zentren der Auswanderung Petaluma in Kalifornien, der Mittlere Westen und der Großraum New York und bis heute finden sich in diesen Gebieten eine Menge Amerikaner mit nordfriesischen Wurzeln und Verbindungen nach Nordfriesland. Dazu werden mittels eines Fragebogens und Interviews Daten erhoben, mit denen die nordfriesische Community in den USA beschrieben werden kann. Die Ergebnisse dieser beiden Datenerhebungen werden dann weiteren Fallstudien aus dem Bereich der Diaspora- und Migrationsforschung gegenübergestellt. So wird  einem interdisziplinären Ansatz Rechung getragen; theoretische Überlegungen aus den Bereichen der Kultur-, Sozial- und Sprachwissenschaft kommen zum Tragen.

Friesische Identitätskonstrukte mit und ohne Sprache

Im östlichen Teil des historischen friesischen Siedlungsgebiet ist die friesische Sprache schon seit langer Zeit nahezu ausgestorben, mit Ausnahme des Saterlands. Zudem hat die territoriale Entwicklung im Laufe der Jahrhundert nicht nur die drei Frieslande voneinander getrennt, auch Ost-Friesland an sich war und ist politisch zersplittert. Die sprachliche und politische Kleinteiligkeit hatte bereits vor den nationalen und romantischen Geistesströmungen des 19. Jahrhunderts bei den Bewohnern dieses Landstrichs zu unterschiedlichen Identitätskonstrukten geführt. Sprache und (nationale?) Identität bilden jedoch traditionell ein eng miteinander verwobenes Paar. Allein schon vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass sich im alten ost-friesischen Siedlungsgebiet drei unterschiedliche Konfigurationen in Bezug auf Sprache und Identität gebildet haben: In den Groninger Ommelanden, die heute als Provinz Groningen zu den Niederlanden gehören, verschwand nach der friesischen Sprache schließlich auch die friesische Identität. Im abgelegenen Saterland erhielt sich die friesische Sprache bis heute, aber die Bevölkerung verlor ihre friesische Identität. Diese wurde erst in jüngster Zeit wiederbelebt. In den übrigen Gebieten verschwand die friesische Sprache, jedoch blieb - in unterschiedlichen Ausprägungen - eine (ost-)friesische Identität in der Bevölkerung verwurzelt. Temmo Bosse untersucht, wie sich diese Identitäten äußern, welche historischen und gegenwärtigen Bezugspunkte sie haben, wie sich die Ost-Friesen innerhalb der als Minderheit anerkannten friesischen Volksgruppe einfügen und nicht zuletzt, welche soziolinguistischen Auswirkungen diese Identitätskonstrukte auf den Sprachgebrauch in der Region haben.