Was versteht man unter Pädagogik und Didaktik zur Förderung der emotionalen und sozialen Entwicklung?

Die Förderung der emotionalen und sozialen Entwicklung bezeichnet einen der klassischen Förderschwerpunkte der Sonder-, Förder- oder Inklusionspädagogik. In den 1970er und 1980er Jahren sprach man hier an deutschen Universitäten auch noch von "Erziehungsschwierigenpädagogik", "Verhaltensauffälligenpädagogik" oder "Verhaltensgestörtenpädagogik". Mittlerweile wird, nicht nur an der Europa-Universität Flensburg, auf solche Begrifflichkeiten vollständig verzichtet, weil diese Begriffe stigmatisierend, pathologisierend und kategorisierend wirken. Der sorgfältige Umgang mit Sprache führt bereits mitten hinein in die zentralen Fragestellungen dieses Studienfaches, denn es macht einen Unterschied, ob ich ein Kind oder einen Jugendlichen, noch ganz im Sinne des psychiatrischen Paradigmas, als "gestört" bezeichne, und dann nach vermeintlich "wissenschaftlich fundierten Interventionen" suche, um dieses Kind oder diesen Jugendlichen hinsichtlich seines "unpassenden" Verhaltens, seiner "abnormen" Persönlichkeit etc. zu "reparieren" oder zu "therapieren" und wieder auf den "richtigen" Weg zu bringen versuche, oder ob ich meinen erweiterten Blick auf die Analyse der überaus komplexen sozialen und kulturellen Prozesse in der Gegenwartsgesellschaft richte und dadurch versuche, die biografischen Themen, Lebenskonflikte und Bewältigungsstrategien von heutigen Kindern und Jugendlichen, einschließlich ihrer soziokulturellen und sozioökonomischen Lebensbedingungen tiefergehend zu verstehen und dieses Verstehen zur Grundlage meiner pädagogischen und didaktischen Bemühungen zu machen, um dann von hier aus Brücken in die jeweiligen Lerncurricula zu schlagen.

Ein kritischer Blick auf die Prozesse in heutigen Bildungsinstitutionen

Das beinhaltet auch einen kritischen Blick auf die Prozesse in heutigen Bildungsinstitutionen. Lehrkräfte in Grund- und Sekundarschulen sind oftmals damit überfordert, Kindern und Jugendlichen aus problematischen Herkunftsmilieus, die Förderbedarfe in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung zeigen, Bildungsangebote zu machen, von denen diese auch tatsächlich profitieren können. Hier setzen dann Absolvent/innen des Faches emotionale und soziale Entwicklungsförderung unterstützend an, indem sie etwa in inklusiven schulischen Settings im Team-Teaching Impulse geben oder in sonderpädagogischen Settings mit den Kindern und Jugendlichen so arbeiten, dass diese in ihrer individuellen Entwicklung tatsächlich gefördert werden.

Herstellung von tragfähigen, förderlichen pädagogischen Bindungsbeziehungen

Doch wie sehen solche Bildungsangebote aus? Zentral auf dem Gebiet der Pädagogik und Didaktik zur Förderung der emotionalen und sozialen Entwicklung ist das Herstellen von tragfähigen, förderlichen pädagogischen Bindungsbeziehungen. Das ist sozusagen das tiefere Fundament, auf dem alles Weitere aufbaut. Sodann brauchen wir eine Pädagogik und eine Didaktik, wo Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung ihre sozialen, biografischen und kulturellen Erfahrungen und die hiermit verknüpften Emotionen reflektieren und einordnen können. Hierzu werden handlungs- und projektorientierte, nach Möglichkeit auch fächerübergreifende Unterrichtsmethoden angewandt. Spiel und Gestaltung bei den Jüngeren sowie Alltagsästhetik und Jugendkultur bei den Älteren sind hier bewährte und erfolgversprechende Zugänge in der schulischen und außerschulischen pädagogischen Arbeit. Weitere Klassiker des Fachgebietes sind Erlebnispädagogik, Outdoor- und Abenteuerpädagogik.

Es geht also zum einen darum, eine Pädagogik anzubieten, in der Lebenserfahrungen reflektiert und verarbeitet werden können. Hier ist insbesondere an Themenhintergründe wie Flucht und Migration oder soziale Marginalisierung zu denken, zum anderen sollen die Kinder und Jugendlichen auch neue, positive, entwicklungsförderliche Erfahrungen machen, im Kontext Schule und darüber hinaus. Neben die Themen `Emotion´ und `biografische Erfahrung´ tritt das Thema `Verhalten´. Von Bedeutung sind hier schulweite verhaltensbezogene Interventionssysteme (School-wide Positive Behavior Support), um positives Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten systematisch zu vermitteln und zu festigen. Denn wenn immer nur einzelne Pädagoginnen und Pädagogen versuchen das Lebensschicksal von einzelnen Kindern und Jugendlichen zum Besseren zu wenden, dann ist das weniger effektiv als wenn ein ganzes Kollegium mit vereinten Kräften in diese Richtung arbeitet und eine schulübergreifende Reflexion von pädagogischen Prozessen und eine gemeinsame Schul- und Konzeptentwicklung stattfindet. Speziell das Thema Verhalten erfordert schulübergreifende Systeme. Das Fach profitiert hier derzeit besonders von nordamerikanischen Forschungen, die freilich für Deutschland eine Art kulturelle Adaptierung erfordern und zugleich einer Kritik (apparative Steuerungssysteme, umfangreiche Datenerhebungen, Mangel an Partizipationsmöglichkeiten der Schüler/innen etc.) unterzogen werden müssen.

Weitere Themen sind dann das Einsetzen von diagnostischen Verfahren, das Entwickeln von Förderplänen, das Konzipieren von inklusions- und sonderpädagogischen Unterrichtseinheiten, kollegiale Fallberatung, die Schule als lernende, sich selbst reflektierende Organisation, die interprofessionelle Kooperation, etwa mit Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Therapeut/innen der verschiedensten Ausrichtungen etc.

Forschungsmethoden und Theorien

Ein besonderes Merkmal des Förderschwerpunktes der emotionalen und sozialen Entwicklung, wie er an der Europa-Universität Flensburg gelehrt wird, ist der wissenschaftstheoretisch breite Zuschnitt. Hierbei kommen empirisch-quantitative, d.h. evidenzbasierte, wie auch qualitativ-forschungsbasierte sowie historisch-hermeneutische und gesellschaftskritisch-ideologiekritische Forschungsmethoden und Theorien zum Tragen. Der Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung wird in Flensburg ferner in weit aufgespannter nationaler wie internationaler und globaler Perspektive gelehrt. Von Anfang an fließen daher zahlreiche englischsprachige Publikationen aus Nordamerika, Großbritannien etc. in die universitäre Lehre ein, um die Vielfalt der Sichtweisen auf den Gegenstand der emotionalen und sozialen Entwicklung in den Blick zu bekommen und sich konstruktiv-kritisch mit den Theoriefeldern auf diesem Gebiet auseinanderzusetzen. Sodann ist das Fach transdisziplinär angelegt und bezieht seine Inspiration unter anderem aus Forschungsfeldern wie Place-Based Pedagogies, Critical Literacy Pedagogies, Teaching for Social Justice, Postcolonial Studies, Critical Race Theory, Urban Education, HipHop– und Rap-Pedagogies, Gender– und Queer Studies sowie Kulturethnographie, Kulturgeographie, Stadtsoziologie, Stadtökologie und Metropolenforschung.

Förderung und Unterstützung der Studierenden

Die Studierenden werden durch die reflexiven Prozesse in den Lehrveranstaltungen darin gefördert und unterstützt, sich diese vielfältigen Theoriewelten in eigener Initiative anzueignen, schon beginnend mit dem ersten Bachelorsemester, um schrittweise zu einer eigenen fachlichen Position zu gelangen und beständig Fragen zu entwickeln. Dies schließt gewisse Selbsterfahrungsanteile auf der eigenen biografischen Ebene, inklusive der durch die Studierenden selbst gemachten sozialen und kulturellen Erfahrungen ein, die auch Gegenstand von bestimmten Teilmodulen sein werden. Beruflich kann es dann entweder Richtung Schuldienst oder aber in Richtung außerschulischer Arbeit (z.B. sozialpädagogische Handlungsfelder, Jugendkulturarbeit, Jugendstrafvollzug, Arbeit in Stadtteilzentren, Projekte mit jungen Flüchtlingen etc.) gehen.