DFG-Projekt: Mehrsprachigkeit im Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit

In mündlichen bi- und trilingualen Daten von Jugendlichen (die in Verbindung mit dem DFG-finanzierten Projekt „Divergierender Sprachgebrauch bei bilingualen Jugendlichen 2004-2006) haben wir feststellen können, dass le¬xi¬kalischer Transfer (Kodewechsel, Lehnübersetzungen) häufig mit einem Transfer von morpho-syntaktischen Kon¬struktionen einhergeht. Es finden eine Parallelführung und gegenseitige Angleichung der gesprochenen Varietäten statt, die aber je nach Gesprächskontext, -partner und pragmatischen Intentionen mehr oder weniger ausgeprägt aus¬fallen können: Je größer die Intention zu und/oder die Forderung nach funktionaler Trennung der Sprachen sind, desto weniger verwenden die Informanten unmittelbar wahrnehmbare Sprachkontaktphänomene, wie z.B. Kodewechsel. Konstant bzw. tenden¬ziell zunehmend bei intendiertem monolingualen Modus sind dagegen verdeckte Sprachkontaktphänomene wie mor¬phosyntaktische Konvergenzen und Lehnübersetzungen. ...

Kurzübersicht

Stichworte
DFG
Laufzeit
01.11.2009 - 30.04.2014
Institution der EUF
Institut für Dänisch

Beschreibung

In mündlichen bi- und trilingualen Daten von Jugendlichen (die in Verbindung mit dem DFG-finanzierten Projekt "Divergierender Sprachgebrauch bei bilingualen Jugendlichen 2004-2006) haben wir feststellen können, dass le­xi­kalischer Transfer (Kodewechsel, Lehnübersetzungen) häufig mit einem Transfer von morpho-syntaktischen Kon­struktionen einhergeht. Es finden eine Parallelführung und gegenseitige Angleichung der gesprochenen Varietäten statt, die aber je nach Gesprächskontext, -partner und pragmatischen Intentionen mehr oder weniger ausgeprägt aus­fallen können: Je größer die Intention zu und/oder die Forderung nach funktionaler Trennung der Sprachen sind, desto weniger verwenden die Informanten unmittelbar wahrnehmbare Sprachkontaktphänomene, wie z.B. Kodewechsel. Konstant bzw. tenden­ziell zunehmend bei intendiertem monolingualen Modus sind dagegen verdeckte Sprachkontaktphänomene wie mor­phosyntaktische Konvergenzen und Lehnübersetzungen. In dem gerade abgeschlossenen Projekt haben wir den Sprachgebrauch (z.T. derselben) 54 Informanten sechs Jahre später (2010) unter­sucht, um festzustellen, ob und inwiefern schriftliche Varietäten die mündlichen Kon­takt­­varietäten widerspiegeln, die im Erwachsenenalter von den Informanten verwendet werden. Unsere Hypothese ist, dass es erforderlich ist, eine mediale Unter­scheidung zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit vorzunehmen, da (mindestens) zwei Sprachvarietäten bei diesen jungen Erwachsenen sowohl mündlich als auch schriftlich vorhanden sind. Wir haben untersucht, wie diese Sprachvarietäten (mündlich/schriftlich) miteinander interagieren: Welchen Sprachgebrauch finden wir in mündlichen und schriftlichen Korpora und welche Konstruktionen werden von der einen in die andere mediale und/oder sprachliche Varietät übernommen? Einen Schwerpunkt bildet die Analyse des Sprachgebrauchs in den neuen Medien.

Ein Korpus von mündlichen und schriftlichen Daten von 54 Informanten ist gesammelt und analysiert worden. Es handelt sich um eher formale und informale schriftliche und mündliche Gattungen wie: Interviews, akademische Hausarbeiten, freie Gespräche unter Freunden und Kommunikation in sozialen Medien (mit denselben Freunden). Das Ergebnis ist, dass diese jungen Erwachsenen sehr bewusst mit ihren sprachlichen Ressourcen umgehen. In formalen Genren (Interviews und Hausarbeiten) finden wir nur wenige intendierte, wahrnehmbare Sprachkontaktphänomenen und die Zahl der nicht-intendierten, verdeckten Sprachkontaktphänomenen ist relativ gering. In den informalen mündlichen Daten finden wir ein relativ festes Sprachgebrauchsmuster in den jeweiligen Gruppen. Dominierend bei der dänischen Minderheit ist eine norddeutsche Umgangssprache mit gelegentlichen insertions aus dem Dänischen (insbesondere Begrifflichkeiten mit uniker Referenz) und pragmatisch begründeten intrasentenziellen Kodewechsel. Bei den Teilnehmern der deutschen Minderheit dominiert Sønderjysk mit vielen insertions aus dem Deutschen.

Überraschend ist die Vielfalt der sprachlichen Praktiken in den sozialen Medien.  Es ist festzuhalten, dass generell keine direkte Übertragung von mündlicher Sprache zur schriftlichen Kommunikation in den sozialen Medien stattfindet, obwohl die Kommunikationspraktiken im Netz durchaus von Sprachregistern der konzeptionellen Nähe gekennzeichnet sind. Bei einigen Gruppen gibt es eine große Übereinstimmung, bei anderen Gruppen kaum sprachliche Parallelitäten zwischen den Gesprächen in der Mikrogruppe und den Pinnwanddialogen derselben Mikrogruppe: Die Dialoge auf Facebook sind in allen Fällen geschrieben, um gesehen und gelesen zu werden. Einige Gruppen der deutschen Minderheit, die miteinander auf Sønderjysk (SJ) (mit insertions von Deutsch) mündlich kommunizieren, schreiben zwar auch auf SJ in den responsiven Beiträgen, machen sich aber auf Facebook erhebliche Mühe, eine nahe phonologische Transkription ihres lokalen Dialekts zu konzipieren. Hier herrscht eine Übereinstimmung bez. der Sprachwahl zwischen mündlicher Kommunikation und der Kommunikation auf Facebook, wobei die Gruppen im schriftlichen Medium ohne das Vorhandensein einer standardisierten Orthographie für das SJ (bei der damit verbundenen Lesekompetenz bei den Adressaten) stets das Risiko eingehen, nur schwer verstanden zu werden. Das andere Extrem bildet eine Gruppe aus der dänischen Minderheit, die ein durchkonstruiertes polylingual languaging auf Facebook betreibt, das dieselbe Mikrogruppe in mündlicher Kommunikation in den Gruppengesprächen nicht praktiziert. Es handelt sich um extreme und ‚unsystematische‘ Sprachmischungen, die in mündlicher Rede auch kaum verständlich wären. Diese Mischungen bestehen aus zahlreichen Sprachen wie Deutsch, Dänisch, Niederdeutsch, Spanisch, Englisch, Niederländisch und Schwedisch. Außerdem verwenden diese Teilnehmerinnen karikierte Varietäten von ‚verdeutschter‘ Lernersprache des Dänischen und des Englischen. In dieser Gruppe werden alle sprachlichen Ressourcen eingesetzt – auch von Sprachen, die die Teilnehmerinnen nur teilweise beherrschen. Diese sprachlichen Darstellungen haben zum Teil Rollenspielcharakter und können als gemeinsam produzierte Sketches betrachtet werden, die neben referentiellen und phatischen auch poetisch-kreativen Sprachfunktionen erfüllen. In Bezug auf die Frage der konzeptionellen Nähe und Distanz (Koch & Oesterreicher 2007) kann festgehalten werden, dass wir zwar eine Sprache der konzeptionellen Nähe vorfinden, die aber nicht als direkte Übertragung von Kommunikationspraktiken der Mündlichkeit derselben Personen auf ein schriftliches Medium eingestuft werden kann.

Verantwortlich

Projektmitarbeitende

Janne Rösler

Platzhalter-Foto für Sara  Losch

Sara Losch

Finanzierung

Deutsche Forschungsgemeinschaft:

Drei halbe Stellen für drei Jahre (geschätzt ca. 280.000 Euro) sowie ca. 50.000 Euro Programmpauschale für die Verwaltung der Universität Flensburg.