DFG-Projekt: Divergierender bilingualer Sprachgebrauch bei Jugendlichen

Ziel dieser Untersuchung ist es, zu einem besseren empirisch wie theoretisch begründeten Verständnis der Zwei- und Mehrsprachigkeit zu gelangen. Das Projekt hatte zum Ziel, den Sprachgebrauch 12-14 jähriger Schüler/innen in den Schulen der dänischen Minderheit im Landesteil Schleswig und der deutschen Minderheit in Nordschleswig (Dänemark) zu analysieren. Vier Schulklassen (76 Informanten) waren an der Untersuchung beteiligt. ...

Kurzübersicht

Stichworte
Bilingualität, Kommunikkation, Untersuchung
Laufzeit
01.01.2004 - 31.12.2006

Beschreibung

Ziel dieser Untersuchung ist es, zu einem besseren empirisch wie theoretisch begründeten Verständnis der Zwei- und Mehrsprachigkeit zu gelangen. Das Projekt hatte zum Ziel, den Sprachgebrauch 12-14 jähriger Schüler/innen in den Schulen der dänischen Minderheit im Landesteil Schleswig und der deutschen Minderheit in Nordschleswig (Dänemark) zu analysieren. Vier Schulklassen (76 Informanten) waren an der Untersuchung beteiligt. Charakteristisch für die Sprachsituation ist, dass Familiensprache und Schulsprache selten übereinstimmen. Die überwiegende Mehrheit der Schüler/innen ist somit früh sequenziell bilingual mit der Schulsprache als L2. Sprachliches Ziel der beiden Schulsysteme ist, dass die Schüler eine muttersprachenähnliche Kompetenz in beiden Sprachen erreichen und beide Sprachen funktional trennen.

Im Gegensatz zum letztgenannten Ziel zeichnet sich besonders der informelle Sprachgebrauch der Schüler/innen durch eine breite Variation im Hinblick auf Sprachkontaktphänomene aus. Es konnten divergierende bilinguale Sprachgebrauchsmuster festgestellt werden. Dies gilt nicht nur für die Häufigkeit der Verwendung von bilingualen Merkmalen wie Kodewechsel, lexikalischer oder morphosyntaktischer und phonologischer Konvergenz, sondern auch für die Präferenzen des einzelnen Schülers/der einzelnen Schülerin hinsichtlich des Gebrauchs der o.a. bilingualen sprachlichen Merkmale. Die von uns eingesetzten Methoden zur Datenerhebung waren:

  • Teilnehmende Beobachtungen über 6  Monate.
  • Audioaufnahmen informeller Kommunikation ("Spontandaten").
  • Experimentell gewonnene Daten und Tests (semistrukturierte Interviews, Audioaufnahmen von Gruppenarbeit, freie schriftliche Arbeiten und schriftliche Tests).

Insgesamt wurden 45 Stunden Audioaufnahmen transkribiert und analysiert.

Es ging in dieser Untersuchung einerseits um Sprachkontaktphänomene. Mit Sprachkontakt­phä­no­menen sind hier gemeint: alle Fälle, in denen lexikalische oder strukturelle Züge aus mehr als einer Sprache in derselben sprachlichen Einheit vorkommen. Dies geschieht teils als code switching, teils als sog. Konvergenz, in der sich die Sprachen lexikalisch und strukturell annähern. Obwohl die sozialen und kulturellen Verhältnisse der beiden Minderheiten vergleichbar sind, zeigen unsere Daten eine deutlich unterschiedliche Distribution hinsichtlich der Sprachkontaktphänomene bei den beiden Minder­heiten. Code switching finden wir in beiden Minderheiten überwiegend als insertion eines lexikalischen Stamms - hauptsächlich eines Substantivs - der nicht-gesprochenen Sprache in die gesprochene Sprache. Die Sprecher der deutschen Minderheit produzieren eine solche insertion durchschnittlich al­le 48 Sekunden, die Sprecher der dänischen Minderheit nur alle 120 Sekunden. Konvergenzen sind ge­ne­rell als Tendenz vorhanden. Die Sprecher der deutschen Minderheit verwenden aber im Durchschnitt weniger als halb so viele Konvergenzen wie die Sprecher der dänischen Minderheit. Besonders interessant ist das Ergebnis, dass diese Konvergenzen generell in mehr als 50% aller Fälle das Hauptverb des Satzes betreffen. Diese Verbalkonvergenzen transferieren nicht nur die Semantik, sondern auch syntaktische Muster der Verbalphrase, sogenannte Prädikat-Argument –Strukturen in die andere Sprache.     

Gleichwohl galt unser Interesse andererseits auch dem bilingualen Sprachgebrauch. Hierbei stehen der bilinguale Sprecher und die pragmatische Funktion der gewählten bilingualen Varietät im Mittelpunkt des Interesses. Die zwei Standardsprachen, ein dänischer Dialekt und die bilingualen Varietäten werden als dem Sprecher zugängliche sprachliche Ressourcen betrachtet, die kommunikative Absichten zum Ausdruck bringen können. Ein Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass die bilingualen Jugendlichen ihre sprachlichen Ressourcen nicht nur als ein "Werkzeug" zur Kommunikation verwenden, sondern dass die Wahl einer spezifischen sprachlichen Varietät ein Teil der Mittelung selbst sein kann: Durch die Wahl einer sprachlichen Varietät kommunizieren sie nach außen, welches momentanes Selbstbild sie darstellen möchten, aber gleichzeitig zeigte uns auch die  Flexibilität bezüglich der gewählten bilingualen Varietäten, dass Adressat-, Situations- und Diskursorientierung auf der individuellen Sprecherebene eine entscheidende Rolle spielt.

Es galt schließlich in diesem Projekt zu untersuchen, ob eine Korrelation zwischen einer sprachstrukturellen Analyse mit einer Analyse zur sozialen Funktion des bilingualen Sprachgebrauchs (mit Methoden aus der Pragmatik und Gesprächsanalyse) festzustellen ist. Eine Korrelation war sowohl auf der individuellen Sprecherebene (Situations- und Diskursorientierung) als auch im Bereich der sprachlichen Normen und Akzeptanz festzustellen. Obwohl beide Schulsysteme eine fast gleichlautende Sprachpolitik haben, gibt es in der Praxis erhebliche Unterschiede. In Verbindung mit der teilnehmenden Beobachtung konnten wir feststellen, dass in den dänischen Schulen weniger code switching in der Unterrichtssituation stattfindet als in den deutschen Schulen und dass die dän. Lehrkräfte im Unterricht selber kaum Deutsch verwenden. Gleiches wird von den Schüler(inne)n erwartet. Diese ‚monolinguale’ Norm sagt voraus, dass "der gute Schüler" sich bemühen wird, nicht offensichtlich in die andere Sprache zu wechseln. Für Bilinguale, bei denen beide Sprachen ständig aktiviert sind, ist dies aber nicht die bevorzugte Option. Wenn der bilinguale Sprecher sich ausdrücken möchte, wird er/sie beide (oder drei) zur Verfügung stehenden mentalen Lexika scannen, um den passenden Begriff zu finden. Wenn diese Möglichkeit aus Gründen der fehlenden Akzeptanz des code switchings nicht vorhanden ist, wird er sich einen anderen Weg suchen. Der Weg, den unsere  Sprecher einschlagen, besteht vor allem darin, die Lexika, so weit es geht, parallel zu führen (mit Vorliebe für Lehnübersetzungen und (fast) homophonen Wörtern) aber auch die Sprachen lexikalisch und strukturell "anzugleichen" in Form von Konvergenzen, die den bilingualen Sprachmodus verschleiern. In dieser Perspektive kann man Konvergenzen als eine ‚versteckte’ bilinguale Strategie betrachten. Diese konvergenzreiche Sprache hat sich dann allmählich zu einer Gruppensprache der dän. Minderheitenschüler entwickelt.

Verantwortlich

Projektmitarbeitende

Platzhalter-Foto für Karoline Kühl

Karoline Kühl