Europa

Polen erklärt Kommunen als LGBT-frei. Daraufhin erklärt das Europaparlament die EU zu LGBTIQ Freedom Zone

LGBT steht im Englischen für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender. Wir nutzen im Arbeitsbereich die Bezeichnung LGBTIAQ+, um auch intersexuelle, asexuelle und andere queere Menschen einzubeziehen. In Polen ist jedoch in diesem Kontext von LGBT die Rede, daher werden wir in diesem Text hier unter anderem diese Abkürzung verwenden.

In den letzten Monaten wurde oft darüber berichtet, dass einige polnischen Gemeinden, Städte und Woiwodschaften sogenannte "LGBT-freie Zonen" eingeführt haben. Was genau sich hinter diesem Namen versteckt, um wie viele Beschlüsse es sich handelt und wie die EU reagiert, wird in diesem Text kurz zusammengefasst.

Die Thematik wurde auf der kommunalen und regionalen Ebene zum ersten Mal auf die politische Agenda gebracht, als Warschaus Bürgermeister Rafał Kazimierz Trzaskowski am 18. Februar 2019 die LGBT-Resolution für Warschau unterschrieb, welche mehrere Punkte zum Kampf gegen die Diskriminierung der LGBT-Community enthält. Darunter fallen zum Beispiel Sexualkunde und Antidiskriminierungserziehung in der Schule sowie sichere Treffpunkte für LGBT-Personen.

Viele Kommunen und Regionalparlamenten im Südosten des Landes wehrten sich dagegen. So wurde die erste Resolution gegen die "LGBT-Ideologie" am 26. Mai 2019 im Landkreis Świdnik (Woiwodschaft Lublin) verabschiedet und die erste Kommunale Charta der Familienrechte am 26. April 2019 im Landkreis Łowicz (Woiwodschaft Lodz).Es handelt sich  um zwei unterschiedliche Papiere, die gegen die LGBT+-Community und deren Bewegung wettern. 

Inhaltlich legen beide Dokumente Wert auf das traditionelle christliche Familienbild. Die jeweilige Kommune, Stadt oder Region soll nicht von der "LGBT-Ideologie" beeinflusst werden, damit Kinder in der Schule vor der aufgezwungenen politischen Korrektheit und der "Frühsexualisierung" nach den Standards der Weltgesundheitsorganisation (wie die Sexualaufklärung von ihren Gegnern genannt wird) geschützt werden. 

Bei der Kommunalen Charta der Familienrechte handelt es sich um ein Dokument welches von der ultrakonservativen Organisation Ordo Iuris im März 2019 initiiert und vorbereitet wurde.

Darin wird die Bedeutung des Familienlebens unterstrichen und es wird auf die Verfassung Polens hingewiesen, nach der die Ehe als Partnerschaft zwischen Frau und Mann formuliert wird, das Familienleben dem Schutz des Staates unterliegt und die Eltern ihre Kinder nach den eigenen Vorstellungen erziehen können sowie das Kind vor Demoralisierung geschützt werden soll. Es werden fünf Forderungen erhoben, die folgende Themen behandeln: 1. Die Rechte der Eltern und das Kindeswohl in der Schule und im Kindergarten, 2. Familienrechte in der Sozialpolitik der Gemeinde, 3. Förderung guter Regelungen in Bezug auf Familienrechte in Unternehmen, 4. Überwachung und Durchsetzung von Familienrechten, 5. Schaffung eines familienfreundlichen Rechts.

Insgesamt wurden 63 Resolutionen (oder ähnliche Dokumente, etwa einzelne Beschlüsse) von fünf Woiwodschaften, 19 Landkreisen, 38 Gemeinden und einer Stadt verabschiedet. In 30 Kommunal- und Regionalparlamenten wurde sie 12 Mal abgelehnt und 18 Mal von der Tagesordnung genommen.

Für die Charta wiederum haben sich 40 Kommunal- und Regionalparlamente entschieden, davon zwei Woiwodschaften, 17 Landkreise, 19 Gemeinden und zwei Städte. Abgelehnt wurde sie 31 Mal, und sieben Mal wurde sie von der Tagesordnung genommen.

Die Zonen und der Grad der LGBT-feindlichen Politik sind auf folgender Website einsehbar, die von polnischen LGBT+ Aktivist*innen erstellt wurde: https://atlasnienawisci.pl/



Europa reagiert

Die von den lokalen Behörden verabschiedeten Dokumente haben bei verschiedenen ausländischen und europäischen Institutionen und Partner*innen Sorgen und Ablehnung hervorgerufen. 

Die Europäische Kommission hat sechs polnischen Städten und Gemeinden, die derartige Dokumente verabschiedet haben, kein Geld im Rahmen von kommunalen Partnerschaftsprojekten bewilligt. Als Antwort darauf hat das polnische Justizministerium bisher einer der betroffenen Gemeinden zugesichert, die fehlenden Mittel bereitzustellen. Das Ministerium ist bereit, weitere Kommunen oder Städte zu unterstützen, die von der EU aus dem genannten Grund nicht gefördert wurden, und zwar aus den Mitteln eines eigentlich für die Opfer von Verbrechen angelegten Fonds.

Anfang März 2021 hat das Europaparlament die EU mit klarer Mehrheit zur "LGBTIQ-Freiheitszone" ernannt. Damit reagiert es deutlich auf Diskriminierung von sexuellen Minderheiten in Polen.            

Die Resolution erklärt, dass "LGBTIQ-Personen überall in der EU die Freiheit haben, ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu leben und öffentlich zu zeigen, ohne Angst vor Intoleranz, Diskriminierung oder Verfolgung". Sie fügt hinzu, dass "Behörden auf allen Regierungsebenen in der EU die Gleichheit und die Grundrechte aller, einschließlich LGBTIQ-Personen, schützen und fördern sollten".

Die Resolution wurde von 492 Abgeordneten unterstützt, 141 stimmten dagegen und 46 enthielten sich.

Die deutsche Europaabgeordnete Terry Reintke, die die Resolution mit eingebracht hat, lobte die "überwältigende Mehrheit" für diese Resolution. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich bereits vor der Debatte am Donnerstag hinter die Resolution gestellt "Being yourself is not an ideology. It's your identity," twitterte sie . "No one can ever take it away. The EU is your home. The EU is a #LGBTIQFreedomZone." Die Resolution besagt, dass die Diskriminierung nicht nur in Polen angegangen werden muss, sondern dass sie ein Problem in der gesamten EU ist (vgl. https://www.bbc.com/news/world-europe-56366750).

Ungarn

Aktuell demonstrieren in Ungarn tausende Menschen, organisiert von Menschenrechtsorganisationen und Vereinigungen der LGBTQ+ Gemeinschaft, gegen einen LGBTQ+ feindlichen Gesetzesentwurf. Da die Situation so tagesaktuell ist und sich die Lage stetig verändert, wird das eigenständige Informieren zu der Entwicklung des Themas empfohlen.

www.tagesschau.de/multimedia/video/video-877701.html

Mit dem Argument Kinder und Jugendliche in Ungarn zu schützen, fordert Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Partei Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) Kinder und Jugendliche von jeglichem Inhalt, der LGBTQ+ Themen darstellt, fernzuhalten. Daher sieht ein aktueller Gesetzesentwurf die Einschränkung von Informationsrechten und Bildungsprogrammen vor, sodass Kinder nicht mehr über sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Vielfalt unterrichtet werden. Ebenso sollen alle medialen Inhalte verboten werden, die eine Abweichung von Heterosexualität und Heteronormativität repräsentieren, sodass nicht der Eindruck entstehe, LGBTQ+ sei Teil der ungarischen Norm.

Demonstrierende betrachten diesen Gesetzesentwurf als Zensur und Einschnitt in die Menschenrechte, weshalb sie die Rücknahme dessen fordern. In Aussicht steht allerdings aktuell, dass das Parlament durch eine rechte Mehrheit den Entwurf billigen wird.

Italien

Es ist schwierig einzuschätzen, in welcher Größenordnung Hassreden gegen LGBTQIA+ in europäischen Ländern stattfinden, denn dies würde häufig nicht nur auf ein Zwangsouting bei der Behörde hinauslaufen, sondern es ist auch sehr wahrscheinlich, dass ein Großteil der Fälle nicht gemeldet werden (durch die Angst, nicht ernstgenommen zu werden, aus Scham oder weil es als nicht ‚schlimm genug‘ empfunden wird). Umfragen lassen jedoch den Schluss zu, dass in einzelnen Mitgliedstaaten bis zu 50 % der LGBT schon einmal Opfer von Hassreden oder Hassverbrechen geworden sind. Da für die EU keine einheitlichen Rechtsvorschriften gelten, gehen die Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Ansätzen gegen Hassreden und Hassverbrechen vor.

In Italien wird aktuell ein Gesetzesentwurf zur Kriminalisierung von Gewalt und Hassrede gegen LGBTQIA+ diskutiert (das sogenannte Legge Zan). Darin soll alle Art von Anfeindung und Diskriminierung mit bis zu 4 Jahren Haft bestraft werden. Im November 2020 hatte die Mitte-Links Koalition im Abgeordnetenhaus zugunsten des Anti-Homo- und Transphobie-Gesetzes gestimmt. Allerdings wird dieses nun im Senat vom rechten Spektrum aufgehalten mit dem Argument, der Schutz sei schon durch das Grundgesetz gegeben. Das weitere Vorankommen des Gesetzes wurde von der Lega unterbunden, indem über keinen weiteren Termin zur Überarbeitung entschieden wurde. Dies hat zu einer kontroversen Debatte in der Gesellschaft geführt, denn auch die katholische Kirche spricht sich gegen das Gesetz aus. Viele (u. a. Künstler*innen, die sich klar für das Gesetz aussprechen) sehen durch den Erlass dieses Gesetzes eine Möglichkeit, die Mentalität der Italiener*innen langfristig zu verändern, und als einen weiteren Schritt Richtung Toleranz und Anerkennung.