Wie kann man „kontaktlos“ empirische Forschungsdaten erheben?

Die seit Mitte März (2020) herrschenden Kontakteinschränkungen erschweren es, empirische zu forschen. Wir haben im Rahmen unseres Forschungsprojektes adhocc verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, "kontaktlos" Daten zu erheben, insbesondere narrative Interviews mit Jugendlichen zu führen.

Um es vorweg zu nehmen, wir haben (bislang) nicht den einen Königsweg gefunden, wie man auf Distanz empirische Daten erheben haben. Unterschiedliche (technische) Lösungen haben jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile. Obgleich es viele Hindernisse gibt, die es beim kontaktlosen Führen von Interviews zu überbrücken gilt, gibt es aber auch Vorteile, wie sich zeigen wird.

Smartphone oder Internet

Die erste Frage, die sich stellt, ist, wie sieht die Netzinfrastruktur des Probanden und die des Forschenden aus. Es gibt Orte, in denen haben sie ein schlechtes Mobilfunknetz, aber ein gutes Internet oder andersherum. Wählen Sie die stabilere Verbindung oder Leitung, sonst machen alle weiteren Überlegungen keinen Sinn.

Benutzerfreundlichkeit

Nach Möglichkeit sollte die von Ihnen gewählte für den Probanden einfach zu bedienen und möglichst kostenfrei sein. Bedenken Sie, dass nicht jeder eine Handy-Flatrate hat oder in der Lage ist, z.B. eine Videokommunikationsapp zu installieren und zu bedienen.

Smartphone

Jemanden per Telefon anzurufen, erscheint unter dem Aspekt der Benutzerfreundlichkeit und Kostenfreiheit daher optimal. Ja, das stimmt. Allerdings ist mir außer einer sehr kostspieligen Variante mit dem Mischpult Rodecaster keine Möglichkeit bekannt, mit der man das Handy anzapfen kann, um ein Gespräch außerhalb des Handys aufzeichnen zu können. Idealerweise würde man einen Audiorekorder z.B. von Olympus per Kabel mit dem Handy verbinden und dann das Gespräch extern aufzeichnen – aber das geht nicht, soweit ich weiß. Daher bleiben nur zwei Optionen:

die Lautsprechfunktion oder eine App benutzen

Die Möglichkeit, den Anruf auf laut zu stellen, also über den Lautsprecher des Handys zu leiten und parallel einen Audiorekorder zum Aufzeichnen zu benutzen, ist an sich eine ungünstige technische Lösung, die sich in der Forschungspraxis aber durchaus bewährt hat. Besser wäre es die Wandlung vom oftmals mäßig klingenden Handy-Lautsprecher ins Mikrofon zu vermeiden, aber die internen Aufzeichnungsmöglichkeiten haben nicht so zuverlässig funktioniert wie diese "analoge" Variante. (Als Aufzeichnungsgerät kommt natürlich nicht nur ein Audiorekorder in Betracht, sondern auch ein zweites Smartphone, iPad, Windows Sprachrekorder im Computer usw.)

Je nach Handy haben Sie bereits eine Audiorekorder-Funktion integriert oder können sich eine entsprechende App herunterladen. Probieren Sie ihre Konstellation auf jeden Fall vor dem Interview mit mehreren simulierten Aufzeichnungsanrufen durch. Wir haben im Projekt die Erfahrung gemacht, dass die internen Handy-Aufzeichnungsfunktionen nicht so zuverlässig sind, wie sie sein müssten. Manchmal wurde der Ton des Interviewenden nicht aufgezeichnet, sondern nur der des Probanden, manchmal brach die Aufzeichnung nach einer Weile einfach ab usw. usf. Auch gekaufte Apps wie z.B. TapeACall waren nicht zuverlässig genug.

Internet

Wenn Sie anstatt des Telefons auf das Internet zurückgreifen, so bieten sich meines Erachtens zwei Möglichkeiten an. Entweder man verwendet die Aufzeichnungsfunktion in einer Videokonferenzsoftware oder man nutzt ein Podcasting-Tool

Podcasting-Tools

wie zencastr.com oder https://squadcast.fm bieten zwar eine sehr gute Tonqualität, doch hat es mich gestört, dass man bei zencastr zwei seperate Tonspuren hat, eine für den Probanden und eine für den Forschenden, die man im Nachgang händisch zusammenfügen und synchronisieren muss. Außerdem, so liest man es in Foren, sollen die separaten Tonspuren bei längeren Aufnahmen auseinanderlaufen, was für die spätere Transkription von Hörersignalen denkbar ungünstig wäre. Ich habe diese Tools daher nie in einem Interview ausprobiert, sondern nur bei Vorabtests.

Eine Videokonferenzsoftware

schien mir daher geeigneter, wenn ich wegen eines schlechten Mobilfunknetzes nicht das Smartphone, sondern das Internet verwenden musste. Ich habe ausschließlich mit der Aufzeichnungsfunktion der Zoom-Software gearbeitet und damit nur gute Erfahrungen gemacht. Die Aufzeichnung erfolgte in tadelloser Qualität und lief stets zuverlässig. Außerdem konnte ich parallel noch ein Zweitgerät, mein Smartphone, als Backup-Gerät mitlaufen lassen. Das empfehle ich generell: Lassen Sie immer, immer, immer eine zweite Aufzeichnungsquelle mitlaufen!

Video oder nur Ton

Die von mir geführten Interviews über Zoom habe ich alle ohne Bild geführt. Denn wir brauchen nicht das Bild, sondern nur den Ton für das Transkript. Außerdem wird die im Vorwege zugesicherten Anonymität des Probanden durchs Aufzeichnen des Bildes eher in Frage gestellt, denn gestärkt. Daher meine klare Empfehlung: Schalten Sie die Kamera aus.

An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Aufzeichnung eins kontaktlosen Gesprächs im Rahmen einer studentischen Forschung ausschließlich dann erfolgt, wenn der Proband zuvor über das Vorhaben sowie seine Rechte informiert und darin eingewilligt hat!

Sollten Sie noch über ein Festnetztelefon verfügen, dann haben Sie, über die hier genannten Möglichkeiten hinaus, die Möglichkeit, mittels eines speziellen Adapters, der zwischen Telefon und Hörer geschaltet wird, per Kabel und Audiorekorder ein Telefonat aufzuzeichnen. Da ich und vermutlich viele Studierende jedoch nur noch über ein Smartphone verfügen, gehe ich auf diese Möglichkeit hier auch nicht weiter ein.

Ich habe alle kontaktlosen Interviews entweder über die Variante Handylautsprecher und 2 Aufnahmegeräte oder per Zoom-Meeting und ausschließlicher Tonaufzeichnung samt externen Aufnahmegerät geführt. Die Qualität des Tons ist in beiden Fällen höchstens so gut, wie die Mikrofone und die Verbindungsqualität beim Probanden sind. Im Gegensatz zu Face-To-Face-Interviews haben kontaktlose Interviews die Möglichkeit eröffnet, komplett im Gesagten zu versinken, da es keine Forschungsbeziehung mit visuellen Eindrücken gibt, die einem ablenkt. Andererseits fehlt natürlich diese Dynamik des echten Lebens und macht es schwieriger, dass Interview zum Laufen zu bringen, wenn es nicht gut läuft.

03.12.20 Michael Tressat