Ringvorlesung Sommesemester 2013 - Zeit
Nur dem Anschein nach ist die Zeit ein Fluss. Sie ist eher eine grenzenlose Landschaft, und was sich bewegt, ist das Auge des Betrachters. (Thornton Wilder)
Zeit ist etwas allgegenwärtiges, deren Verstreichen gleichzeitig unvermeidlich erscheint und die selten explizit wahrgenommen wird. Sie ist aus naturwissenschaftlicher Sicht zwar objektiv messbar, aber nicht manipulierbar, sie ist aus psychologischer Sicht gerade in der subjektiven Wahrnehmung wesentlich, sie ist kunst-, literatur- und medienwissenschaftlich eine zentrale Kategorie der Analyse, und sie ist in den Geschichtswissenschaften konstitutiv.
Von der Zeit sagt man, dass sie die von Menschen wahrgenommene Abfolge von Ereignissen beschreibt; sie kann ein Wertgegenstand sein, ein messbarer Parameter, eine grammatische Form, und auch eine Frage der Weltanschauung.
In der angebotenen Ringvorlesung wird das Konzept der Zeit aus verschiedenen disziplinären und interdisziplinären Perspektiven betrachtet und auf das in den Disziplinen jeweils entwickelte Verständnis hin dargestellt. Mit dieser Veranstaltung wollen wir Anregungen liefern, sich mit einer breiteren Perspektive Zeit zu nehmen für ein Nachdenken und Diskutieren über das Thema Zeit.
Programm
Im Labyrinth von Bild und Zeit. Michelangelo Antonionis Spiel mit Dis/Kontinuität
Prof. Dr. Matthias Bauer
Als zeitbasiertes Medium stellt der Film besondere Anforderungen an die Analyse, bietet sich aber zugleich dafür an, die physiologischen, psychologischen und physikalischen Momente der Zeit zu reflektieren. Interessant sind insbesondere Versuche, Zeit- und Erzählfluss nicht linear zu handhaben - scheint dies doch dem Momentum des Films, also dem unablässigen Voranschreiten von Zeit und Erzählung zu widersprechen. Daher wird es am Beispiel von M. Antonionis "Beruf:Reporter" um verschiedene Aspekte und Dimensionen des Zeitlichen im Film gehen.
wie die zeit in der kunst vergeht und bleibt, sich dehnt und komprimiert wird, erstarrt und rast
Prof. Dr. Manfred Blohm
Der Vortrag wird sich auf verschiedenen Ebenen mit der Zeit in der Kunst beschäftigen und unter anderem den Fragen nachgehen: Wie nehmen wir das Alte an der historischer Kunst wahr? Warum kann es keine "Malerei des Augenblicks" geben und warum werden Augenblicke und Momente dennoch gemalt?
Wie thematisieren Künstler/innen unsere Zeitwahrnehmungen und Zeiterfahrungen mit den Mitteln der Kunst?
Erzähl(te) Zeit - von der Zeit in der Literatur
Dr. Sibylle Machat
Romane und Geschichten bilden selten einen kontinuierlichen Zeitstrom ab – sie sind im Gegenteil voller Zeitsprünge, Zeitdehnungen, Zeitraffungen, Auslassungen und Vorgriffen auf Zukünftiges. All dies sind Phänomene, die in der Literatur problemlos umsetzbar – und vom Leser oft ebenso problemlos nachvollziehbar – sind. Der Vortrag zur "Zeit in der Literatur" geht auf eben diese Phänomene (und die hinter ihnen liegenden Konstruktionsprämissen) ein und zeigt Ihnen anschließend anhand von Beispielen was passiert, wenn Autoren mit diesen impliziten Regeln der Zeitdarstellung brechen.
Chemie- eine Frage der Zeit?
Prof. Dr. Maike Busker
Chemische Prozesse und deren zeitlicher Verlauf spielen bei vielen Problemstellungen der chemischen Industrie aber auch des Alltags eine wichtige Rolle. In ausgewählten, anschaulichen Beispielen wird in dem Vortrag ein verständlicher Überblick über den zeitlichen Verlauf von chemischen Prozessen, über die Steuerung von Reaktionsgeschwindigkeiten und über konkurrierende Reaktionen gegeben. Dabei stehen interessante Phänomene aus Alltag und Chemielabor im Mittelpunkt. Und natürlich kommen chemische Experimente dabei nicht zu kurz.Der
Historiker und die Zeit
Prof. Dr. Uwe Danker
Das Verhältnis von Historikern (und Historikerinnen) zur Zeit scheint so einfach: Sie befassen sich mit der Vergangenheit, Geschichte ist doch Vergangenheit., oder? Von wegen! Für die Geschichtswissenschaft sind die Dimensionen Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft (fast) gleichrangig, gibt es viele ‘Zeiten', zum Beispiel kalendarische Zeit, soziale Zeit, vergangene Zukunft, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Chronologie und Perioden und manches mehr. Denn das Feld von Vergangenheit-Erinnerung-Geschichte ist stoppeliger, als man so glaubt. Uwe Danker wird im Rahmen der Ringvorlesung "Zeit" ein buntes Verwirrspiel entfalten und (Teil-)Auflösungen liefern.
Kontinuität des Selbst im Wandel des Lebens: philosophische Fragen und Perspektiven
Prof. Dr. Anne Reichhold
Was ist die Zeit? Philosophische Antworten auf diese Frage richten sich auf das denkende Subjekt, auf Gedächtnis, Erinnerung und Zukunftserwartung. Zeit ist wesentlich subjektive Zeit. Wenn das Ich oder der Mensch aber selbst zeitlich strukturiert ist, worin besteht dann seine Identität? Wie kann ich von mir selbst als "ich" zu unterschiedlichen Zeiten sprechen? Die Vorlesung führt in unterschiedliche philosophische Konzeptionen der Zeit und deren Zusammenhang zum Selbst ein.
Musik in der Zeit. Zeit in der Musik
Dr. Theo Saye & Sebastian Korff
Der Vortrag thematisiert auf Basis musikwissenschaftlicher und musikgeschichtlicher Überlegungen die komplexe wechselseitige Beziehung von der musischen Kunst und dem physikalischen, sowie kognitiven Phänomen Zeit. Die musik- und kulturwissenschaftlichen, praxisnahen Beiträge, Erfahrungsberichte und Anekdoten erfolgen aus der Perspektive eines Orchesterdirigenten und eines Posaunisten mit alternierend musikologischem und auch physikalischem Background.